Grab Christi – Das Mysterium der Auferstehung in der mittelalterlichen Buchmalerei

Die Grabeskirche in Jerusalem gehört zu den wohl berühmtesten Sakralbauten der Welt und zieht als zentrale Pilgerstätte des Christentums jedes Jahr Millionen von Gläubigen und Interessierte an – beherbergt sie doch den Golgota-Felsen und das Heilige Grab, in dem Jesus Christus nach seiner Kreuzigung bestattet worden sein soll. Bereits im 4. Jahrhundert ließ Konstantin der Große den Bau als Verehrungsstätte errichten, wobei eine Architektur entstand, die die Vorstellung vom Heiligen Grab über Jahrhunderte prägen sollte: noch heute wird die Grabkammer von einer kapellenähnlichen Ädikula eingefasst, die sich wiederum innerhalb der überkuppelten Anastasis-Rotunde befindet.

Die Verehrung des Grabes und des Auferstehungsmysteriums zeigt sich bereits im Mittelalter nicht nur in einem florierenden Pilgerwesen und dem weitreichenden Handel mit Reliquien, sondern infolgedessen insbesondere in zahllosen Heiliggrabkapellen wie dem sog. Heiligen Grab in Görlitz, die die heilige Stätte auch an anderen Orten architektonisch erfahrbar machen sollten. Zudem ist das Fest der Auferstehung, Ostern, das wichtigste religiöse Ereignis des christlichen Jahres.

Das heilige Grab in der Buchmalerei

Die Geschichten rund um das Grab Christi waren aber auch ein beliebtes und wichtiges, wenn auch nicht so sichtbares, Thema in der Buchmalerei. Immerhin ist das leere Grab eines der größten Mysterien der biblischen Erzählungen, das zahllose christliche Gelehrte beschäftigte. Wie konnte man sich den Vorgang der Auferstehung vorstellen? Und welche Beweise konnte man dafür anbringen?

Zur Erinnerung: Die Evangelien, aber auch einige apokryphe Schriften, berichten davon, dass Jesus Leichnam nach der Kreuzigung in einem Felsengrab bestattet wurde, das mit einem großen, schweren Stein versiegelt wurde. Wie zuvor angekündigt ereignete sich drei Tage nach der Grablegung Christi Auferstehung, woraufhin verschiedene ihm nahestehende Personen das leere Grab vorfanden. In den 40 Tagen darauf erschien der Wiederauferstandene immer wieder seinen Anhängerinnen und Anhängern, bevor es schließlich zur Himmelfahrt kam.

Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. (Mt. 12,40)

Buchmaler und -malerinnen fanden nun im Laufe des Mittelalters unterschiedliche Lösungen, um den Schlüsselmoment der Auferstehung ins Bild zu bringen, was eine ziemliche Herausforderung gewesen sein muss, sollte doch ein Moment dargestellt werden, für den es aufgrund fehlender Augenzeugen keine Beschreibungen gab. So wurde zunächst das leere Grab selbst zum zentralen Bildthema, begleitet von den zwei bzw. drei Marien, die dort den Engel vorfinden, der ihnen von der Auferstehung erzählt. Während hier das Mysterium durch das Fehlen Christi betont wird, entschieden sich spätere Buchmaler und -malerinnen doch das rätselhafte Geschehen selbst zu zeigen und akzentuierten damit Christi Sieg über den Tod.

Ein Mausoleum für Christus

Die berühmte Reidersche Tafel (um 400 n. Chr.) zeigt die früheste Darstellungsvariante des Grabes: Auf der linken Seite erhebt sich ein turmartiges Mausoleum aus spätantiken Formen. Auf einem rechteckigen Sockelgeschoss ruht eine runde Ädikula mit filigranen Doppelsäulchen – eine Reminiszenz des Heiligen Grabes in Jerusalem, das um die Entstehungszeit dieser Elfenbeintafel bereits architektonisch eingefasst war. Vor dem Grab sitzt ein Engel auf einigen Felsen, der seine Hand mit einem Redegestus in Richtung der drei Marien streckt, die sich von rechts nähern. Bemerkenswerterweise ist die Tür zur Grabkammer verschlossen – die Frauen müssen also auf das Wort des Engels vertrauen.

Anders verhält es sich im Sakramentar Heinrichs II.: Sowohl die ganzseitige Miniatur als auch die Elfenbeinschnitzerei des Buchdeckels zeigen das Grab Christi zwar ebenfalls in Außenansicht als turmartiges Mausoleum, doch deutet der Engel hier explizit auf das geöffnete Grab, dessen gähnende Leere geradezu ins Auge springt. In dem dunklen Eingang der eigentümlich geschichteten gemalten Architektur schweben lediglich zwei Teile der Leichentücher Christi.

Es ist erstaunlich, dass bereits die frühe Buchmalerei sich eher an der Pilgerstätte in Jerusalem denn an den biblischen Beschreibungen zu orientieren scheint. Die detaillierten und prächtigen Mausoleen entsprechen nicht im Geringsten den Evangelien, die allesamt von einem Felsengrab sprechen:

[Josef] nahm ihn herab vom Kreuz, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch nie jemand gelegen hatte. (Lk. 23,53)

Trotzdem findet sich diese Darstellungstradition bis ins 13. Jahrhundert in unterschiedlichen künstlerischen Zeugnissen. Ab ca. 1000 überwiegt jedoch eine andere Variante: der Sarkophag.

Das Grab Christi als Sarkophag

Bilder, die das Grab als rechteckigen, steinernen Sarkophag zeigen, geben uns oft einen Einblick in das Innere der eigentümlichen Mausoleen. Indem sie die Marien und den Engel vor kunstvollen Säulen-Arkaden mit Rundböden anordnen, bleiben sie der althergebrachten, detailverliebten Architektur oft verhaftet. Neu ist jedoch, dass der Engel auf einem leeren Sarkophag sitzt, während er die Frauen über das Geschehene in Kenntnis setzt. Der Deckel des Grabes ist dabei insbesondere in früheren Werken wie dem Festtagsevangelistar mit Kanontafeln und dem Reichenauer Perikopenbuch merkwürdig verschoben, um den Blick auf die Leere freizugeben – eine Interpretation des weggewälzten Steins. Sowohl das Grab als auch der Engel scheinen jeglichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu entbehren. Vielmehr schweben sie als verbliebene Artefakte der wundersamen Begebenheit vor oft goldenem Grund, der ebenfalls andeutet, dass sich hier etwas göttliches zugetragen hat.

Die wunderbare Trecento-Miniatur von Pacino de Bonaguida zeigt die Szene hingegen in einer bergigen Landschaft vor einem tieflauen Grund. Der deutlich naturalistischere Marmor-Sarkophag steht unter freiem Himmel, während der Engel lässig auf dem hohen Rand des offenen Grabes sitzt. Der abgenommene Deckel ist hier nur noch im Hintergrund angedeutet.

Auch die Miniatur im Brandenburger Evangelistar überführt die Szene in eine Landschaft. Das offene Grab steht auf einer sattgrünen, mit Blumen übersäten Wiese, die einen starken irdischen Kontrast zu dem goldenen Hintergrund im oberen Drittel des Bildes ergibt. Im Gras befinden sich zudem drei weitere Figuren, die die Ikonografie des Grabes häufig ergänzen: die schlafenden Wächter – dazu später mehr.

Zwei oder drei Marien?

An dieser Stelle mag es verwundern, dass nicht einmal die Darstellung der Frauen am Grab einheitlich ist. So finden sich ebenso viele Bilder mit zwei Marien wie mit dreien. Dass sie auch noch alle denselben Namen tragen, macht das Ganze nicht weniger verwirrend. Dies entspricht jedoch den unterschiedlichen Evangelien, die die Geschichte ebenfalls nicht einheitlich erzählen. Markus beschreibt die Situation am ausführlichsten:

„Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und [Maria] Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“ (Mk. 16, 1-8)

Die Wächter am Grab Christi

In vielen Miniaturen wird das grundlegende Bildpersonal durch zwei bis vier Grabwächter ergänzt, die in den Evangelien bei der Begegnung der Frauen und dem Engel gar nicht erwähnt werden. Lediglich Matthäus berichtet einige Passagen zuvor von ihnen:

„Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Nach drei Tagen werde ich auferweckt. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt. Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein.“ (Mt. 27, 62-66)

Gerade weil die Wächter von den Gegnern Christi geschickt wurden, kommt ihnen eine enorm wichtige Rolle zu: Ihre Anwesenheit wurde als Beweis dafür gedeutet, dass der Leichnam nicht entwendet wurde, sondern dass sich ein Wunder zugetragen hat. Das mag der Grund für ihre weitverbreitete und im Spätmittelalter längst kanonisierte Darstellung sein.

Wie im Brandenburger Evangelistar  schlafen die Wächter meist oder sind zumindest abgelenkt wie im Falle des Sakramentars Heinrichs II.. Hier zeigt sich zudem, wie schwierig sich die Einbindung der Figuren in die Szene zunächst gestaltete: Die beiden Wächter sitzen unauffällig auf dem Dach des Mausoleums und schauen gelangweilt in die Gegend, ohne die Frauen und den Engel zu bemerken. Im Salzburger Perikopenbuch sind gar nur die Köpfe der über der Grabkammer versteckten, schlafenden Wächter zu sehen.

Andere Buchmaler und -malerinnen quetschten die Figuren geradezu neben die Szene. Das wird besonders deutlich im Neuen Testament: Während sich die drei Marien von links dem Grab nähern, schlafen die Wächter übereinander gestapelt auf der rechten Seite und haben dabei nicht einmal mehr Boden unter sich. Im Spätmittelalter etabliert sich dann eine wohl als eleganter wahrgenommene Lösung, bei der die Wächter vor bzw. unterhalb des Sarkophags angeordnet werden – oftmals kreuz und quer.

Das Leichentuch

In vielen Miniaturen nimmt das Leichentuch Christi als Verbildlichung des Mysteriums der Auferstehung eine wichtige Rolle ein – so unscheinbar es manchmal auch sein mag. Das meist weiße Tuch ist die einzige Spur des irdischen Jesus und zugleich der Beweis dafür, dass er im Grab bestattet war. Meist schwebt es kunstvoll zusammengebunden vor der dunklen Leere des Sarkophags oder Grabs wie etwa im Passauer Evangelistar oder im Sakramentar Heinrichs II.. Im Leben Christi findet sich hingegen eine recht realistische Darstellung, die das Tuch ausgebreitet auf dem leeren Totenbett zeigt als wäre Christus gerade erst entschwunden.

Auferstehung aus dem Sarkophag

Im späten Mittelalter geriet das leere Grab zunehmend ins Hintertreffen. Stattdessen interessierte man sich zunehmend für die Auferstehung selbst und es entstand ein neuer Bildtypus, der bis weit in die Neuzeit und insbesondere in der Tafelmalerei weite Verbreitung finden sollte: Der auferstandene Christus steigt oder schwebt mit Segensgestus und Triumphkreuz aus seinem Grab, das in der Regel weiterhin die Form des Sarkophags behält. Christi Sieg über den Tod wird zum zentralen Bildthema.

Eine wunderbare Kombination der verschiedenen Bildtypen hält der Passionszyklus des Anglo-normannischen Martyrologiums vom Ende des 13. Jahrhunderts bereit. Hier folgt auf die Grablegung Christi zunächst die Auferstehung unter Beteiligung eines Engels. Zwei Folios später werden zusätzlich die drei Marien am leeren Grab gezeigt, die mit einem anderen Engel kommunizieren. Später erscheint das leere Grab sogar ein drittes Mal: Dabei wird insbesondere das Leichentuch von den beiden Jüngern Johannes und Petrus inspiziert.

Während die Wächter in der Auferstehungsminiatur des Anglo-normannischen Martyrologiums schlafen, deutet das Mainzer Evangeliar bereits die weitere Entwicklung dieser Figurengruppe an: Voller Schrecken blicken sie zu dem aus dem Grab steigenden Christus auf und versuchen ihm in alle Richtungen auszuweichen. Diese Variante wird im weiteren Verlauf des Mittelalters und der Neuzeit zunehmend beliebt, wie etwa das Evangeliar des Charles d’Orléans zeigt. Hier scheint der linke am Boden sitzende Wächter geradezu von Christi Triumph geblendet zu werden.

Der Abendmahlskelch als Grab Christi

Die Symbolik des Grabes und der Auferstehung taucht auch im liturgischen Gerät der Eucharistiefeier während der mittelalterlichen Messe auf – und zwar im Abendmahlskelch, in dem sich noch heute die Wandlung des Weins zum Blut Christi für die Kommunion vollzieht. Der Kelch wurde dabei nicht nur als praktisches Gerät für diesen Vorgang gesehen, sondern bekam viele weitere Sinnschichten zugewiesen: Er ist zum einen der mystische Ort der besagten Wandlung, der Transsubstantiation, aber auch ein Verweis auf die sogenannten Herrenworte, die Jesus beim letzten Abendmahl zu seinen Jüngern sprach, und damit auch ein direkter Verweis auf eben dieses letzte Abendmahl, auch Herrenmahl genannt. Darüber hinaus wurde der Kelch von mittelalterlichen Gelehrten als Grab Christi gedeutet, da sein Zweck die Aufnahme und Verhüllung des heiligen Blutes ist. Der Blick in den Kelch entspricht danach dem Blick in das Grab Christi. Hinzu kommt die Handhabung der flachen, kreisförmigen Hostie während der mittelalterlichen Liturgie. Diese wurde eine Zeit lang auf den Kelch gelegt und folglich als Entsprechung des Steins gedeutet, mit dem das Grab Christi verschlossen wurde.

Dieses letzte Beispiel mag veranschaulichen wie weitreichend das Mysterium des leeren Grabes und die Auferstehung als zentrale Säulen des christlichen Glaubens in der mittelalterlichen Welt präsent waren. Nicht umsonst ist Ostern der wichtigste christliche Feiertag. Die künstlerische, theologische und liturgische Auseinandersetzung mit dem Thema gingen dabei Hand in Hand.