Lehrbücher und Fibeln

Die aufwendig gestalteten Fibeln, mit denen Kinder hochgeborener und königlicher Familien im Mittelalter das Alphabet und das Lesen lernten, gehören zu den seltensten Handschriftenarten, die uns aus dem Mittelalter erhalten geblieben sind. In einer Zeit, in der die Herstellungskosten eines Buches exorbitant waren, waren die meisten Fibeln einfache Arbeitsbücher, die dem Schüler, der hauptsächlich durch Memorieren und Rezitieren lernte, Anleitung boten.

Illuminierte Fibeln hingegen waren ein echter Luxus und wurden in der Regel nur für Kinder von Königsfamilien, wie beispielsweise Claude de France oder Maximilian I., angefertigt. Sie enthielten üblicherweise das Alphabet, gefolgt von den wichtigsten Gebeten und verschiedenen Sprüchen, die dem jungen Adepten Halt in der Ausbildung geben sollten.

Einige besonders kostbare Ausgaben darunter wurden von großen Meistern angefertigt, die dabei keine geringere Kunstfertigkeit walten ließen als bei Aufträgen für Erwachsenenausgaben. In Lesebüchern für Fortgeschrittene fanden sich gewöhnlich Auszüge aus der Bibel sowie Texte von antiken Autoren wie Vergil, die als stilistische Vorbilder der lateinischen Grammatik dargeboten wurden. Darüber hinaus waren allgemeine Nachschlagewerke üblich, angefangen von umfassenden Enzyklopädien, Anleitungen zur medizinischen Selbstbehandlung bis hin zu Büchern über die Liebeskunst. Die Bandbreite verschiedenster Lehrbücher gewährt einen einzigartigen Einblick in die mittelalterliche Denkweise und Weltanschauung.

Veranschaulichung anhand einer Beispielseite

Fibel der Claude de France

Claude de France betet zur heiligen Anna

Die junge Claude de France, stilvoll gekleidet mit einem schwarzen Kleid mit Pelzbesatz, wird vom heiligen Claudius der thronenden heiligen Anna überreicht, die der Jungfrau Maria gerade das Lesen beibringt. Sowohl Claude als auch Maria sind als junge Mädchen dargestellt. Ein blau-silbernes Tuch, bestickt mit Lilien und C-Initialen in Gold und Schwarz, bedeckt Claudes Pult, von dem aus sie der Lektion folgt.

Fibeln waren sehr individuell und enthielten nicht nur seltene mittelalterliche Kinderporträts, sondern auch die persönlichen Details ihrer Auftraggeber. Oft war das eine enge Freundin oder ein Mentor, in diesem Fall war es Claudes Mutter, Anne de Bretagne. Ihr Wappen wird von einem Engel gehalten, der rechts in einer Nische des Rahmens steht. Unten drückt ihr Motto „PENSON EN DIEU“ ihr Gottvertrauen aus.