Genre: Stundenbücher - Bildgewordene Andacht nicht mehr nur für den Klerus
Das Stundenbuch, die fraglos beliebteste Buchform des Mittelalters, war ein speziell für den Laiengebrauch entwickeltes Gebetbuch, das in privater Andacht wie auch im öffentlichen Stundengebet Anwendung fand. Grundlage bildete das Brevier der Geistlichen, das in sieben Tageszeiten eingeteilt war, die sogenannten „Horen“ oder „Stunden“ (daher der Name), zu denen bestimmte Gebetstexte (Offizium) gebetet oder gelesen wurden.
Im Gegensatz zu den Gebetbüchern für Geistliche wurden die Stundenbücher für Laien nicht in Klosterskriptorien, sondern in städtischen Schreibwerkstätten oder Künstlerateliers hergestellt, weshalb die einzelnen Bücher von Region zu Region stark in Bezug auf die darin enthaltenen Gebetstexte variieren konnten. Die meisten Exemplare waren ausreichend kleinformatig, um von einer Person bei sich getragen zu werden, wie etwa das Stundenbuch der Jeanne D’Evreux, und waren so reich ausgeschmückt, dass sie als modische Accessoires oder sogar als Statussymbol dienten. Als solche waren sie oft stark personalisiert und enthielten für gewöhnlich ein Widmungsbild, das den Auftraggeber und dessen Wappen darstellte, sowie gelegentlich weitere Porträts desselben in einer oder mehreren Miniaturen.
Die große Beliebtheit dieses Buchtypus verhalf einigen der großen Buchmalkünstler wie den Brüdern Limburg, Simon Bening und Gerard Horenbout zum Durchbruch, während andere große Meister anonym blieben und heute nur unter einem Notnamen bekannt sind. Die hoch personalisierten Stundenbücher öffnen Fenster in die Vergangenheit und in das Leben und den Anschaungen der bedeutendsten Figuren des Mittelalters.
Veranschaulichung anhand einer Beispielseite
„Siebenmal am Tag singe ich dein Lob wegen deiner gerechten Entscheide.“
(Ps 119, 164)
Von allen Handschriften, die das Mittelalter überlebt haben, gibt es keine andere Gattung, die heute auch nur annähernd so zahlreich vertreten wäre wie das Stundenbuch. Der Grund dafür ist, dass solche persönlichen Andachtsbücher im Spätmittelalter, als die Buchproduktion und die Buchkunst ihren Höhepunkt erreichten, die beliebteste Art von Manuskripten waren. Sie wurden in der Regel in lateinischer Sprache verfasst, obwohl es auch einige volkssprachliche Exemplare gibt, insbesondere in niederländischer Sprache. Im Gegensatz zu einem normalen Gebetbuch, das oft in einem für das Gebet vorgesehenen Raum oder in einer kleinen Kapelle aufbewahrt wurde, war das Stundenbuch dazu bestimmt, den ganzen Tag über mit sich geführt zu werden und erleichterte die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten. Der Name des Stundenbuchs rührt genau daher, dass es Gebete für bestimmte Tageszeiten enthält, die Ämter (officia) genannt werden, weil sie offizielle Gebete der katholischen Kirche sind und nach Maßgabe der Liturgie angeordnet sind.
Allerdings wurden die privaten Andachtstexte nicht von der Kirche kontrolliert, und die Herstellung der Stundenbücher erfolgte hauptsächlich in den Ateliers weltlicher Künstler. Daher konnten die Gebete - vor allem in den verschiedenen Regionen – variieren: In einigen Stundenbüchern wurden erst in späteren Jahrhunderten, insbesondere während der Gegenreformation, Gebete von der kirchlichen Zensur gestrichen. Das Stundenbuch war ein zentraler Bestandteil des täglichen Lebens für diejenigen, die über die nötige Frömmigkeit und das zugehörige Vermögen verfügten. Einige gelten als wahre Meisterwerke der mittelalterlichen Buchmalerei und der abendländischen Kunst insgesamt – sie wurden oft von Königshäusern in Auftrag gegeben. Die schönsten dieser Bücher haben eine lange und oft turbulente Besitzgeschichte hinter sich, denn sie waren und sind bis heute sehr begehrt, was sich mit jedem weiteren berühmten Besitzer nur noch verstärkte.
Die Ursprünge des kanonischen Stundengebets
Der christliche Stundenkanon hat seine Wurzeln in der jüdischen Praxis der Zmanim – dem Beten zu bestimmten Tageszeiten. Diese Praxis wurde von den Aposteln übernommen und weitergegeben, wie aus dem Zitat aus der Apostelgeschichte hervorgeht. In Jerusalem und Konstantinopel begannen sich um das Jahr 500 zwei Traditionen herauszubilden, die schließlich im 8. Jahrhundert miteinander wieder in Einklang gebracht wurden und zu den komplexen Gebetszeiten führten, die in den Stundenbüchern zu finden sind.
„Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf.“
(Apg 3, 1)
Ursprünglich waren die Gebetszeiten mit jeweils dreistündigen Abständen angeordnet, entsprechend der römischen Praxis, die verschiedenen Tageszeiten mit einer Glocke auf dem Forum zu markieren: den Beginn des Arbeitstages um sechs Uhr, sein Fortschreiten um neun, die Mittagspause, die Wiederaufnahme der Arbeit um drei und den Abschluss des Arbeitstages um sechs Uhr abends. Diese wurden hinzugefügt, und die Ämter der kanonischen Gebete zählten schließlich zeitweise insgesamt acht.
Ursprünglich benötigte man für diese Gebete eine ganze Reihe von Texten und Büchern, darunter einen Psalter, ein Lektionar, eine Bibel und ein Gesangbuch. Diese wurden jedoch im 12. Jahrhundert in den so genannten Brevieren zusammengefasst. Das Stundenbuch wiederum ist eine verdichtete und gekürzte Version des Breviers und kam ein Jahrhundert später auf. Der Psalter ist also der Großvater des Stundenbuchs und wurde im 14. Jahrhundert schließlich von ihm als beliebtester Typus der Luxushandschrift abgelöst.
Woraus besteht ein Stundenbuch?
Der Aufbau des Stundenbuchs war ziemlich einheitlich, da es der Liturgie folgen sollte und als Erleichterung dafür gedacht war, den Gottesdienst besser mitvollziehen zu können. Stundenbücher beginnen in der Regel mit einer Reihe von Kalenderseiten, die oft kunstvoll verziert sind. Diese liturgischen Kalender enthalten Informationen über wichtige Daten wie Feiertage und Heiligentage und stellen oft kunstvoll die "Monatsarbeiten" dar – die typischen Tätigkeiten, die mit der jeweiligen Jahreszeit verbunden sind, insbesondere im Hinblick auf die Landwirtschaft und andere ländliche Tätigkeiten. Spätere Handschriften enthielten Tierkreiszeichen und astrologische Informationen.
Die einzelnen Ämter (Marienoffizium, Kreuzesoffizium, Totenoffizium usw.) folgen in der Regel zusammen mit den entsprechenden Auszügen aus den Evangelien und Psalmen, der Heiligenlitanei und anderen Gebeten. Illuminierte Handschriften stellten oft Zyklen des Lebens der Jungfrau Maria oder der Passion dar. Diese waren ebenfalls ziemlich standardisiert, aber die Unterschiede in Technik und Stil zwischen verschiedenen Teilen Europas und über mehrere Jahrhunderte hinweg machen diese Zyklen sehr fruchtbar für den Vergleich und die Gegenüberstellung verschiedener künstlerischer Schulen. Diese Kombination aus einer einheitlichen Grundstruktur und individueller künstlerischer Ausstattung macht die Stundenbücher für die Forschung so attraktiv und nützlich.
Das Stundenbuch – beliebt und in Mode
Ein Stundenbuch war mehr als nur eine Unterstützung der persönlichen Andacht, es war darüber hinaus ein modischer Gegenstand und zeugte nicht nur von der Frömmigkeit, sondern auch von Reichtum und Kultiviertheit seines Besitzers oder seiner Besitzerin. Diese Codices waren in der Regel klein und dazu bestimmt, in der Öffentlichkeit mit sich geführt zu werden, oft an einer Schmuckkette oder in einem speziell angefertigten Beutel. Ein Stundenbuch war also kein Vorrecht der Männer, sondern auch ein übliches Hochzeitsgeschenk für die Braut, entweder von ihrem Verlobten oder einem Verwandten. Das luxuriöse Stundenbuch war beinahe ein modisches Accessoire und ein Statussymbol, denn es besaß oft prächtige Einbände aus Leder, Samt oder Seide mit goldenen Schließen und Beschlägen, die manchmal sogar mit kostbaren Edelsteinen besetzt sein konnten.
Das Geschlecht des Besitzers bzw. der Besitzerin wird oft durch den Stil des Einbandes und die Auswahl der Gebete angezeigt, wenn nicht sogar durch ein Porträt, ein Wappen oder andere persönliche Insignien. Der Psalter war seit der Zeit Karls des Großen, der ihn persönlich in Auftrag gab, die beliebteste Form der illuminierten Handschrift, die jedoch im Hochmittelalter zugunsten des Stundenbuchs, das neben den anderen für den kanonischen Stundengebet erforderlichen Texten bereits die Psalmen enthielt, an Beliebtheit verlor.
Der Beginn des Goldenen Zeitalters
Auch wenn es wunderbare Stundenbücher aus dem 13. Jahrhundert gibt, etwa das De Brailes Stundenbuch des englischen Buchmalers William de Brailes, und auch aus dem 14. Jahrhundert, wie das Stundenbuch der Jeanne d'Evreux von Jean Pucelle, explodierte ihre Popularität und Produktion um 1400 noch einmal. Die wichtigste Figur in dieser Blütezeit zu Beginn des 15. Jahrhunderts war Jean Duc de Berry, der das prächtige Stundenbuch der Jeanne d'Evreux besaß, das von König Karl IV. von Frankreich für seine Frau in Auftrag gegeben worden war, nach der die Handschrift auch benannt ist.
Zusätzlich zu den mehr als 300 schönen Handschriften, die er sammelte, gab Jean de Berry auch vier prächtige Stundenbücher bei den besten französischen und flämischen Werkstätten in Auftrag: Les Petites Heures-, Les Grandes Heures-, Les Belles Heures-, und Les Très Riches Heures du Duc de Berry. Sie alle zählen zu den schönsten Beispielen mittelalterlicher Buchmalerei. Doch die Très Riches Heures zählen aufgrund der Raffinesse des Dekors und der großen Meister, die sie geschaffen haben, als unübertrefflicher Meilenstein: die Brüder Van Limburg, Barthélemy d'Eyck und Jean de Colombe.
Gotische Stundenbücher
Das goldene Zeitalter der französischen Buchmalerei fiel zeitlich mit dem Aufstieg des Stundenbuchs zum beliebtesten Manuskripttyp zusammen, und infolgedessen produzierten französische, insbesondere Pariser Werkstätten während der Gotik viele der schönsten Exemplare dieses Genres. Zu den großen Meistern dieser Zeit gehören Jacquemart de Hesdin, Jean le Noir und der Bedford-Meister, dessen Pariser Werkstatt das Bedford-Stundenbuch schuf, das von vielen weltweit als die reichste und schönste Bilderhandschrift der mittelalterlichen Buchkunst überhaupt angesehen wird. Diese Tatsache ist umso unglaublicher, als die Kunsthistoriker die wahre Identität des Bedford-Meisters bisher nicht lüften konnten. Sie kennen nur seinen Not-Namen und wissen, dass er von 1405 bis 1465 in Paris lebte. Nichtsdestotrotz war die Werkstatt des Bedford-Meisters jeder anderen vor oder nach ihr mindestens ebenbürtig.
Die Schwarzen Stundenbücher
Trotz der eher bedrohlichen Bezeichnung als "schwarzes Stundenbuch" hat der Begriff keine negative Konnotation, sondern bezieht sich auf einige der einzigartigsten und spektakulärsten Manuskripte des gesamten Mittelalters: eine Reihe von Stundenbüchern aus schwarz gefärbtem Pergament. Mit einer Eisen-Kupferoxid-Lösung wurde das Pergament schwarz gefärbt, was den Buchmalern eine Farbgebung ermöglichte, die sich den umgekehrten Kontrast zu den typischen dunklen Texten und Bildern auf hellem Grund zunutze machte. In diesen besonderen Büchern konnten sie helle Pastellfarben verwenden, die sich von dem dunklen Hintergrund abhoben. Die Texte dieser Handschriften sind ebenso beeindruckend, denn sie wurden vollständig mit goldener und silberner Tinte geschrieben.
Angefertigt wurden die Manuskripte um 1450-1475 in Brügge während der Regierungszeit Philipps des Guten und Karls des Kühnen für einige sehr gebildete und vermögende Mitglieder des herzoglichen Hofes von Burgund, der inzwischen sowohl in Bezug auf Macht als auch auf Pracht mit dem französischen Königshof konkurrierte. Im 15. Jahrhundert war der Herzog von Burgund auch der Herrscher von Flandern, dem Zentrum des europäischen Textilhandels und dem Sitz einiger der besten Ateliers Europas, insbesondere in Brügge.
Leider ist die Lösung zum Färben der Seiten auf lange Sicht stark korrosiv, so dass heute nur noch sieben Exemplare dieser kostbaren Kunstwerke erhalten sind. Nur drei sind noch als Codices gebunden, die übrigen werden als einzelne Blätter zwischen Glasplatten erhalten. Diese tragische Zerbrechlichkeit macht den Reiz ihrer Kunstfertigkeit noch größer, und Faksimiles dieser empfindlichen Schätze haben ihre Erforschung möglich gemacht, ohne die Originale weiter zu beschädigen.
Die Stundenbücher der italienischen Renaissance
Unterdessen war südlich der Alpen die italienische Renaissance schon seit einiger Zeit in vollem Gange und der künstlerische Stil der italienischen Stundenbücher aus dieser Zeit spiegelt die zeitgenössischen Innovationen wider. Die schönsten Beispiele dieser Pracht werden mit einigen der größten Namen der italienischen Renaissance in Verbindung gebracht, darunter der mächtige Gian Galeazzo Visconti, Herzog von Mailand, und Lorenzo de' Medici "der Prächtige", der sich diesen Beinamen durch seine großzügige Förderung der Künste erworben hat. Gian Galeazzo Visconti, der von 1351 bis 1402 als Herzog von Mailand regierte, war wohl der reichste Fürst seiner Zeit und ein beispielloser Förderer von Bildung und Kunst.
Das zweibändige Visconti-Stundenbuch entstand zwischen 1390 und 1428 und gilt als der größte italienische Beitrag zu diesem Genre – der erste Band wurde von Giovanni de' Grassi und der zweite von Belbello da Pavia gestaltet. Sein schlichter Samteinband lässt den Betrachter noch nicht das reiche Füllhorn an Buchschmuck im Inneren erahnen. Dennoch ist dieses prächtige Manuskript nicht konkurrenzlos.
In den 1480er Jahren gab Lorenzo de' Medici als Hochzeitsgeschenk für jede seiner drei Töchter ein unglaubliches Stundenbuch in Auftrag, von denen zwei von Francesco Roselli gefertigt wurden und das andere aus der Werkstatt von Mariano del Buono stammte. Alle haben luxuriöse Samteinbände mit goldenen Klappen und Beschlägen – einer davon mit Juwelen, die beiden anderen mit Emaille-Miniaturen – und weisen die Raffinesse und Detailtreue der Buchmalerei auf, die man im Italien der Renaissance erwarten würde. Diese Miniaturen werden in unglaublich detaillierten Rahmen und Randverzierungen präsentiert, die mit den zentralen Bildern fast schon konkurrieren: sowohl um die Bedeutung ihres künstlerischen Inhalts als auch um den Platz auf der jeweiligen Seite.
Schließlich zeichnen sich diese italienischen Stundenbücher durch das Geschick der Schreiber aus, die für den Text verantwortlich sind, der so klar und einheitlich dargestellt ist, dass man sich unwillkürlich fragen wird, ob er von Hand geschrieben sein kann oder nicht vielleicht doch gedruckt wurde.
Die Auswirkungen des Buchdrucks
Obwohl Gutenbergs Erfindung zu einem drastischen Rückgang der Produktion von handschriftlichen Stundenbüchern führte, hielt die Nachfrage von Königen und anderen hochrangigen Mitgliedern der Gesellschaft bis ins 16. Jahrhundert an, so dass die Produktion von Stundenbüchern auf hohem Niveau fortgesetzt wurde. Die Grandes Heures der Anne de Bretagne sind eines der letzten großen Meisterwerke der französischen Buchmalerei. Das Manuskript, das zwischen 1503 und 1508 in der Werkstatt von Jean Bourdichon, einem der größten Buchmaler Frankreichs, entstand, zeichnet sich durch ganzseitige Miniaturen aus, die an Tafelbilder erinnern, sowie durch die Darstellung von mehr als 330 Pflanzen mit ihren wissenschaftlichen Namen, wodurch es sowohl ein Stundenbuch als auch eine botanische Enzyklopädie ist.
Obwohl in Frankreich und Italien weiterhin unglaubliche Stundenbücher hergestellt wurden, entwickelten sich vor allem Flandern und insbesondere Brügge in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu führenden Zentren der Manuskriptherstellung. Hier wurden die Stile der italienischen Renaissance und der nördlichen Gotik zu unglaublich raffinierten Kunstwerken wie den Très Riches Heures du Duc de Berry verschmolzen, die die altniederländischen Meister des 17. Jahrhunderts inspirieren sollten. Obwohl die Zahl der Manuskripte zurückging, finanzierten die verbleibenden kostspieligen Aufträge die weitere künstlerische Entwicklung.
Die letzte Blüte
Jean de Colombe schuf das spektakuläre Stundenbuch des Louis de Laval um 1489. Dieser stand direkt in den Diensten Ludwigs XI. von Frankreich. Es enthält unglaubliche 1.234 Miniaturen, darunter 157 ganzseitige Miniaturen, die sich durch ihre unglaublichen Landschaften, ihre Räumlichkeit und den großzügigen Einsatz von Gold auszeichnen. Ein solches Kunstwerk sollte über Generationen hinweg im Besitz des französischen Königshauses bleiben.
Eines der letzten und raffiniertesten handschriftlichen Stundenbücher war das Blumenstundenbuch von Simon Bening, das zwischen 1520 und 1525 entstand. Wie der Name schon sagt, enthalten die dekorativen Muster Blumen und Knospen aller Art sowie Insekten und kleine Vögel, die mit unglaublichem Realismus und Plastizität dargestellt sind – jede Seite des Manuskripts ist illuminiert. Simon Bening, der um 1483 als Sohn des großen Miniaturisten Alexander Bening geboren wurde, ging auch bei anderen berühmten Buchmalern wie Gerard Horenbout in die Lehre und galt zum Zeitpunkt der Fertigstellung seines Stundenbuchs als "der größte Meister der Buchmalerei in ganz Europa". Seine Synthese von Stilen und Techniken verschiedener Künstler sowie die Plastizität und Kreativität seiner eigenen Schöpfungen gipfelten in einem der letzten und größten Schätze der mittelalterlichen Kunst.
Das Ende der Ära der Stundenbücher
Ein Grund dafür, dass das Aufkommen des Buchdrucks nicht das sofortige Ende der Handschriften bedeutete, ist, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt Ateliers gegeben hatte, die vorgefertigte Stundenbücher herstellten, in denen leere Seiten zum späteren Ausgestalten von Widmungen und Wappen reserviert waren. Diese Gewohnheit setzte sich bei den gedruckten Büchern fort, die manchmal ebenfalls Platz für individuelle Initialen ließen oder auch Holzschnitte enthalten konnten, die nach dem Ermessen des Besitzers koloriert oder in Schwarzweiß belassen wurden. Mitte des 16. Jahrhunderts war die Beliebtheit des Stundenbuchs in Westeuropa jedoch unwiderruflich zurückgegangen. Obwohl es in der katholischen, anglikanischen und orthodoxen Kirche noch offizielle Gebetbücher gibt, die dem Stundenbuch in seiner Bedeutung entsprechen, handelt es sich meist um einfache moderne Kodizes, die nicht mehr den Glanz ihrer Vorgänger widerspiegeln.