Bible moralisée - Harley 1527

Bible moralisée - Harley 1527

Obwohl das Manuskript Harley 1527 der British Library mit seinen sage und schreibe 1.208 goldenen Bildmedaillons auf 306 Seiten für sich genommen bereits ein beeindruckendes Meisterwerk gotischer Buchmalerei ist, handelt es sich lediglich um den neutestamentlichen Part einer einst die gesamte Bibel umfassenden, dreibändigen Handschrift. Das zugehörige Alte Testament, das ebenso kostbar illuminiert ist, verteilt sich auf drei Fragmente, die heute in drei unterschiedlichen Sammlungen erhalten sind: Ms. Bodl. 270b in der Bodlein Library, Oxford (Genesis bis Hiob); Ms. Lat. 11560 in der Bibliothèque nationale de France, Paris (Ende des Buchs Hiob, Psalmen, Bücher Salomo, Propheten); Ms. Harley 1526 in der British Library, London (Makkabäer).

Das Gegenstück zur Bibel Ludwigs des Heiligen

Die prächtige Bible moralisée wurde wahrscheinlich im Auftrag von Blanka von Kastilien (1188–1252), Mutter Ludwigs des Heiligen, als Hochzeitsgeschenk für dessen Gemahlin Margarete von der Provence (um 1222–1295) geschaffen. Dabei stellt sie das Gegenstück zur berühmten Bibel Ludwigs des Heiligen dar, die ein fast identisches Bildprogramm aufweist. Bemerkenswerterweise weisen die zugehörigen kurzen Texte inhaltlich größere Unterschiede auf, auch wenn sie in gleicher Manier auf den Seiten angeordnet wurden.

Eine goldene Bible moralisée

Bible moralisées stellten im späten Mittelalter ein außerordentlich beliebtes und verbreitetes Buchgenre für wohlhabende christliche Laien dar. Als didaktische Werke dienten sie dazu, ihren Leserinnen in verständlicher, relativ lebensnaher und vor allem moralisierender Weise die Geschichten der Bibel dar- und auszulegen. So zeigt jede illuminierte Seite der *Bible moralisée - Harley 1527 vier biblische Ereignisse in Text und Bild. Jede Geschichte erscheint zunächst in der lateinischen Bibelversion mit einem zugehörigen Bildmedaillon. Darunter folgt die Moralisierung in einem weiteren kurzen Textabschnitt und einem zweiten Medaillon. So finden auf jeder Seite insgesamt acht Miniaturen mit acht erläuternden Textschnipseln Platz.

Bilder des Neuen Testaments

Zwar sind insbesondere die moralisierenden Textpassagen ein interessanter Einblick in das Verständnis der Bibel im westlichen Christentum des 12. Jahrhunderts, doch spielen die Bilder in diesem Werk eindeutig die Hauptrolle. Die opulent mit Gold geschmückten Medaillons weisen die typische kräftige rot-blaue Farbpalette der Pariser Gotik auf und erinnern an lichtdurchflutete Kirchenfenster der Zeit. Die zusammengehörigen Medaillons zeichnen sich oftmals durch komplementäre Kompositionen aus. Die moralisierenden Bilder zeigen dabei häufig moralische Verfehlungen wie Habgier und Wollust, die es zu vermeiden galt. Interessanterweise sind die sündigen Figuren oftmals durch ihr Erscheinungsbild dem Klerus zugewiesen, obwohl sich das Bildprogramm eigentlich an aristokratische Laien richtet.

Royale Besitzerinnen

Bereits Mitte des 13. Jahrhunderts kam die luxuriöse Handschrift nach England – wahrscheinlich als Geschenk Margaretes an ihre Schwester und englische Königin Eleonore von der Provence (um 1223–1291). Noch im selben Jahrhundert wurde das Manuskript geteilt, woraufhin Harley 126 und 127 zusammengebunden wurden und in die Hände verschiedener Sammler gelangten bis Robert Harley (1661–1724), Earl of Oxford, sie 1721 erwarb. Margaret Cavendish Bentinck (1715–1785), Duchess of Portland, verkaufte dessen Bibliothek schließlich an das British Museum, wo sie mitsamt Harley 126 und 127 die Handschriftensammlung mit begründete, die heute in der British Library verwahrt und verwaltet wird.