Walters Stundenbuch W.173

Walters Stundenbuch W.173

Brügge (Belgien) — Ca. 1440–1450

Goldgeschmückte Bilder für eine unbekannte Gläubige: Ein kunstvoller Höhepunkt des Schaffens der Meister der goldenen Ranken mit besonderem Augenmerk auf die Verehrung franziskanischer und französischer Heiliger

  1. Die Meister der goldenen Ranken waren eine Gruppe von Buchkünstler:innen, die zwischen 1410 und 1460 in Flandern aktiv war

  2. Das Walters Stundenbuch schufen mehrere von ihnen für eine unbekannte Frau mit besonderer Verbindung zu franziskanischen Heiligen und Frankreich

  3. Sie illuminierten die Gebetstexte mit ganz- und dreiviertelseitigen Miniaturen, historisierten und ornamentalen Initialen sowie fantasievollen Bordüren

Walters Stundenbuch W.173

  1. Beschreibung
  2. Faksimile-Editionen (1)
Beschreibung
Walters Stundenbuch W.173

Zwischen 1440 und 1450 schufen mehrere der als Meister der goldenen Ranken bekannten flämischen Buchkünstler:innen ein echtes Kleinod gotischer Buchmalerei für eine rätselhafte Frau mit besonderer Vorliebe für franziskanische und französische Heilige: das sogenannte Walters Stundenbuch. Von den einst 23 großen bis ganzseitigen Miniaturen, die die Stundengebete mit christlichen Ikonografien und Heiligendarstellungen begleiten, sind 17 erhalten geblieben und entbehren kaum ihrem ursprünglichen Glanz. Das wunderschöne Rankenornament aus Pinselgold, das die meisten Hintergründe schmückt und namensgeben für die Künstlergruppe war, verleiht der Handschrift zusammen mit den vielfarbigen figürlichen Szenen und dem ornamentalen Buchschmuck noch heute eine wunderschöne Opulenz. Es ist ein einzigartiges Meisterwerk der Meister der goldenen Ranken, das nicht der üblichen Farbpalette der Gruppe entspricht, ihr aber durch mehrere Künstlerstempel sicher zugeschrieben werden kann – ein wunderbares Zeugnis ihrer Kunst auf dem Höhepunkt ihres Schaffens!

Walters Stundenbuch W.173

Das sogenannte Walters Stundenbuch, das unter der der Signatur W.173 im Walters Art Museum in Baltimore verwahrt wird, ist ohne Frage eines der schönsten Werke der prächtig illuminierten Stundenbücher der Meister der goldenen Ranken. Diese Gruppe talentierter, aber bis heute anonymer Buchkünstler:innen war zwischen 1410 und 1460 in Flandern aktiv und schuf goldgeschmückte Buchschätze für wohlhabende Auftraggeber:innen. Ihren Behelfsnamen hat die Gruppe aufgrund des wunderschönen goldenen Rankenornaments bekommen, mit dem sie in einzigartiger Weise die Hintergründe vieler Miniaturen schmückten. Im ca. 1440–1450 entstandenen Walters Stundenbuch erscheinen die goldenen Ranken ausschließlich auf dunkelroten Farbflächen, die den Miniaturen eine besondere Tiefe und Opulenz verleihen.

Goldgeschmückte Bilder für die private Andacht

Neben den Goldranken-Hintergründen sind einige Bilder auch mit punzierten Vollgoldhintergründen versehen, während andere bereits den aufkommenden Naturalismus aufgreifen und die Figuren vor Landschaften mit Himmel zeigen. Insgesamt wurden die umfangreichen Gebetstexte von 8 dreiviertelseitigen Miniaturen, die von je einer historisierten Initiale begleitet werden, und 15 ganzseitigen Miniaturen begleitet. Von letzteren sind sechs über die Zeit verloren gegangen, was nicht verwundert, da sie auf Einzelblättern nach der Bindung in die Handschrift eingeklebt wurden – ein gefundenes Fressen für spätere Kunsthändler und -sammler, die sich vor allem im 19. Jahrhundert an den nicht mehr im Gebrauch befindlichen mittelalterlichen Buchschätzen bedienten.

Fantasievoller Buchschmuck

Die goldgeschmückte Illumination wird durch zahlreiche kleinere Zierbordüren und vor allem 32 wunderbare bewohnte Vollbordüren ergänzt, die je mindestens eine kleine Drôlerie aufnehmen. Diese fantasievollen Mischwesen klettern zwischen den Ranken, Blüten und Früchten umher und sind ein charmanter Ausdruck mittelalterlichen Humors. Der Text wird währenddessen, neben den Bildelementen, mittels großformatiger Ornament-Initialen und zahllosen kleinen Feldinitialen aus glänzendem Gold gegliedert. Ein wunderschönes Zeugnis der spätgotischen Kunst der Meister der goldenen Ranken!

Ein offizielles Werk der Meister der goldenen Ranken

Während für den in kalligrafischer Präzision geschriebenen Text eine einzige Hand verantwortlich war, wurde die prachtvolle Illumination von mehreren Händen ausgeführt. Dabei sind einige Miniaturen mit einem roten „Tau“ als Werk der Meister der goldenen Ranken markiert, so dass davon auszugehen ist, dass alle beteiligten Buchmaler:innen zu dieser Gruppe gehörten. Der notariell beglaubigte Künstlerstempel diente ihnen als Identifikationszeichen – eine Praxis, die sich in Flandern ab 1426 unter offiziell anerkannten Buchmaler:innen verbreitete, um ihre Werke von „illegalen“ Kopien zu unterscheiden.

Goldene Ranken für eine unbekannte Gläubige

Die Meister der goldenen Ranken schufen die kostbare Handschrift für eine namentlich bis heute nicht identifizierte Frau – entweder direkt von ihr beauftragt oder aber von jemanden, der oder die ihr den Codex schenkte. Hinweise auf die fromme Benutzerin liefern die wiederholt auftauchenden Initialen A und M sowie ein Wappen, das auf Landbesitz in Amiens und Corbie hindeutet. Sie war zudem offenbar besonders franziskanischen und französischen Heiligen verbunden, worüber der Kalender, die Allerheiligenlitanei und die Suffragien Aufschluss geben. So erscheint der Heilige Franziskus auf fol. 73v sogar in einer ganzseitigen Miniatur, auf die eine Suffrage (kurzes Gebet nach einem bestimmten Schema) an den Heiligen folgt. Den Abschluss des lateinischen Stundenbuchs bildet ein französischsprachiges Gebet an die Jungfrau Maria, zu dem die Besitzerin möglicherweise eine besondere Beziehung hatte. Zusammen mit dem Wappen und den französischen Heiligen könnte es außerdem ein Hinweis auf eine französische Herkunft der rätselhaften Frau sein.

Kodikologie

Alternativ-Titel
Orationes in Laudem Francisci
Walters Book of Hours W.173
Umfang / Format
214 Seiten / 25,7 × 17,2 cm
Herkunft
Belgien
Datum
Ca. 1440–1450
Schrift
Textualis
Buchschmuck
17 Miniaturen, davon 9 ganzseitig und 8 dreiviertelseitig, 8 historisierte, 15 Ornament- und zahlreiche kleinere Zierinitialen, 32 bewohnte Vollbordüren und 108 kleinere Zierbordüren
Inhalt
Kalender, Evangelienlesungen, Kreuzoffizium, Heilig-Geist-Offizium, kleines Marienoffizium, Suffragien, Sieben Bußpsalmen, Allerheiligenlitanei, Fürbitten, Kollekten, 15 Freuden Mariä, Sieben Bitten an den Erlöser, andere Gebete, französisches Mariengebet
Künstler / Schule
Vorbesitzer
Jean-Baptiste Verdussen
Alfred Werlé
Henry Walters

Verfügbare Faksimile-Editionen:
Orationes in Laudem Francisci
Imago – Rimini, 2025
Limitierung: 99 Exemplare
Faksimile-Editionen

#1 Orationes in Laudem Francisci

Imago – Rimini, 2025

Details zur Faksimile-Edition:

Verlag: Imago – Rimini, 2025
Limitierung: 99 Exemplare
Einband: Replik des Originaleinbandes: Brauner Vollledereinband mit deatilreicher Goldprägung auf den Buchdeckeln und dem -rücken
Kommentar: 1 Band (152 S.) von Carla Rossi
Sprache: Italienisch
Faksimile: 1 Band Vollfaksimile des gesamten Originaldokuments (siehe unten) Möglichst detailgetreue Reproduktion des gesamten Originaldokuments (Umfang, Format, Farbigkeit). Der Einband entspricht möglicherweise nicht dem ursprünglichen oder aktuellen Dokumenteneinband.
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