Codex Germanicus

Codex Germanicus – Helikon – Cod. Germ. 3 – Universitätsbibliothek Budapest (Budapest, Ungarn)

Süddeutschland — Anfang des 16. Jahrhunderts

Das Bindeglied zweier Epochen der Buchkunst, möglicherweise beauftragt von Kaiser Maximilian I.: Ein handgeschriebenes, deutsches Gebetbuch mit bereits gedruckten Holzschnitt-Miniaturen

  1. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts bevorzugte der Hochadel immer noch Handschriften, obwohl diese bereits größtenteils durch gedruckte Bücher ersetzt worden waren

  2. Für einige Manuskripte wurden dekorative Elemente wie Holzschnitte aus gedruckten Büchern entlehnt

  3. Dieses handschriftliche Exemplar eines noch nicht gedruckten Buches könnte von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) als Geschenk in Auftrag gegeben worden sein

Codex Germanicus

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Beschreibung
Codex Germanicus

Der Codex Germanicus ist eines der wichtigsten Zeugnisse der europäischen Buchherstellung im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, als neue Drucktechniken in die Kunst der Manuskriptherstellung integriert wurden, die sich damals in ihrer letzten und wohl prächtigsten Periode befand. Es handelt sich um die handschriftliche Kopie eines gedruckten Buches, das vermutlich von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegeben wurde, aber die genauen Umstände seiner Entstehung bleiben unklar. Sieben ganzseitige Holzschnitte von Hans Weiditz dem Jüngeren und zahlreiche gestochene Rahmen schmücken das deutsche Gebetbuch, das von einem virtuosen Schreiber stammt. Die Besitzgeschichte des Buches ist auch mit der wechselvollen Geschichte Ungarns zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert verbunden.

Codex Germanicus

Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts erlebte die europäische Manuskriptherstellung ihre letzte und glanzvollste Blüte, während sich gleichzeitig der Buchdruck über den Kontinent ausbreitete. Dennoch bevorzugte der Hochadel weiterhin handgefertigte Codices aus Pergament im Gegensatz zu gedruckten Büchern aus billigem Papier. Natürlich gab es eine Rivalität zwischen beiden Techniken, aber es kam auch zu Überschneidungen und Anleihen. Eines der schönsten Beispiele dafür ist ein Manuskript, das heute in der Budapester Universitätsbibliothek unter der Signatur Codex Germanicus 3 aufbewahrt wird.

Eine kaiserliche Kommission?

Der Codex Germanicus ist eine deutsche Handschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert, bei der es sich um die Abschrift eines zeitgenössischen gedruckten Gebetbuchs handelt, das unter dem Kurztitel Gilgengart bekannt ist und von dem Johann Schönsperger der Ältere (1455–1521) in den Jahren 1520 und 1521 in Augsburg zwei Ausgaben auf grobem Pergament veröffentlichte. Er war 1508 zum Hofdrucker von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) ernannt worden, und obwohl es keine direkte Verbindung zum Kaiser gibt, deuten sowohl die verwendete Schrift als auch die Umstände des Drucks darauf hin, dass es sich ursprünglich um einen kaiserlichen Auftrag handelte, der jedoch zu Lebzeiten Maximilians nicht fertiggestellt wurde. Dies wäre bei weitem nicht der einzige von Maximilian in Auftrag gegebene Buchdruck, dessen endgültige Veröffentlichung durch finanzielle Beschränkungen verzögert wurde, auch wenn die Buchstaben und Holzschnitte bereits fertiggestellt waren.

Verbindung zu Ungarn

Maximilian hatte schon früher die Vervielfältigung von manuell gedruckten Büchern in Auftrag gegeben, und die Tatsache, dass der Text des Manuskripts für ein weibliches Publikum bestimmt war, deutet darauf hin, dass es als Hochzeitsgeschenk für seine Enkelin Maria von Österreich (1505–58) entstanden sein könnte, die 1515 König Ludwig II. von Ungarn (1506–26) heiratete. Nach dem Tod ihres Mannes in der Schlacht von Mohács 1526 floh Maria nach Preßburg, dem heutigen Bratislava in der Slowakei, wo sie mehrere Monate blieb und einen Teil ihrer Schätze und Bücher in der dortigen Kirchenbibliothek deponierte. Nach der Auflösung der Bibliothek durch Kaiser Joseph II. (1741–90) wurde die Handschrift 1782 von Michael Winkler erworben, der Priester in Bonyhád, Ungarn, war. Dies erklärt, wie das Manuskript im frühen 16. Jahrhundert nach Ungarn kam und im ausgehenden 18. Jahrhundert dorthin zurückkehrte.

Ein einzigartiger Codex

Der meisterhaft geschriebene und mit goldenen Initialen geschmückte Fraktur-Text scheint auf dem Druck von 1520 zu beruhen, ist aber keine exakte Kopie, obwohl er im gleichen Dialekt geschrieben ist: Es gibt kleine Abweichungen in der Formatierung, der Rechtschreibung, und männliche Formen werden durch weibliche ersetzt (z. B. "ich arme Sünderin" statt "ich armer Sünder"). Im Gegensatz zu den Texten anderer deutscher Gebetbücher, die seit dem 14. Jahrhundert entstanden sind, unterscheidet sich der Gilgengart sowohl in Form als auch Inhalt. Er enthält 47 eigenständige, aus verschiedenen Quellen zusammengestellte Texte, von denen 19 der Jungfrau Maria gewidmet sind, aber es fehlen ein Kalender und einige andere typische Elemente. Insgesamt haben die Texte vier Themen gemeinsam: die Buße, den Erwerb und die Anhäufung von Ablässen sowie die Verehrung des leidenden Christus sowie Marias.

Eine Synthese der Künste

Es gibt keine Hinweise auf die Entstehungsumstände der Handschrift, da sowohl das Titelblatt als auch der Originaleinband fehlen, aber sie wurde mit 111 Blättern aus feinem Pergament im Format 133 x 100 mm erstellt. Die sieben Holzschnitte, die das Manuskript schmücken, stammen von Hans Weiditz dem Jüngeren (1485 – ca. 1537), auch bekannt als der Petrarca-Meister. Sie zeichnen sich durch ihre Vorliebe für eine diagonale Raumwahrnehmung, ein zentriertes Kompositionsschema, die Proportionen von dunklen und hellen Flächen und die Motive der ornamentalen Rahmen aus. Beeinflusst wurde Weidtz von seinem Meister Hans Burgkmair (1473–1531) sowie von anderen Zeitgenossen wie Albrecht Dürer (1471–1528), Hans Schäufelein (ca. 1480–1540) und Leonhard Beck (ca. 1480 – 1542). 23 Seiten sind außerdem mit kunstvollen Holzschnittrahmen mit typischen vegetabilen und zoomorphen Motiven geschmückt, die wahrscheinlich von derselben Hand koloriert wurden, die auch für die Initialen verantwortlich war. Der heutige Ledereinband aus der Wende zum 18. Jahrhundert wurde in Tyrnau, Österreich, hergestellt.

Kodikologie

Alternativ-Titel
Codex Germanicus 3
Umfang / Format
222 Seiten / 13,3 × 10,0 cm
Herkunft
Deutschland
Datum
Anfang des 16. Jahrhunderts
Sprache
Buchschmuck
7 ganzseitige kolorierte Holzschnitte; 23 Holzschnittbordüren; Etliche goldene Initialen
Inhalt
Gilgengart
Künstler / Schule
Vorbesitzer
Michaelis Winckler

Verfügbare Faksimile-Editionen:
Codex Germanicus – Helikon – Cod. Germ. 3 – Universitätsbibliothek Budapest (Budapest, Ungarn)
Helikon – Budapest, 1993
Detailbild

Codex Germanicus

Gregormesse

Diese in der christlichen Kunst des Mittelalters beliebte Szene stellt die Christusschau Papst Gregors I. bei einer Messe dar. Der sogenannte Schmerzensmann erscheint ihm mit den Wunden und Werkzeugen der Passion. Das Wunder sollte einer zweifelnden Frau, die das Abendmahlsbrot gebacken hatte, beweisen, dass die Transsubstantiation tatsächlich real ist. Das Bild bezieht sich direkt auf einen Holzschnitt von Albrecht Dürers zum gleichen Thema, stellt die Figuren allerdings in umgekehrter Reihenfolge dar, d. h. mit dem Papst auf der linken und dem Altar auf der rechten Seite.

Codex Germanicus – Helikon – Cod. Germ. 3 – Universitätsbibliothek Budapest (Budapest, Ungarn)
Einzelseite

Codex Germanicus

Die Heilige Dreifaltigkeit

Dieser Holzschnitt ist eine Variante der sedes gratia oder des "Throns der Barmherzigkeit", eines Bildtyps in der christlichen Kunst zur Darstellung der Dreifaltigkeit, der erstmals im späten 10. Jahrhundert auftauchte. Sie besteht in der Regel aus einem thronenden Gottvater, der einen gekreuzigten Christus in seinen Händen hält, während eine Taube, die den Heiligen Geist symbolisiert, entweder über oder zwischen ihnen erscheint.

Die meisten Darstellungen des Throns der Barmherzigkeit haben eine direkte Frontalperspektive, die den Betrachter direkt anspricht, aber Weidtz' Vorliebe für die diagonale Ansicht erweckt den Eindruck, als würde man an dieser wunderbaren Vision vorbeigehen, während sie am Straßenrand erscheint. Wie im Rest des Manuskripts ist der Rahmen mit vegetabilen und zoomorphen Motiven rein dekorativ und hat keine Anspielungen auf die ursprüngliche Szene.

Codex Germanicus – Helikon – Cod. Germ. 3 – Universitätsbibliothek Budapest (Budapest, Ungarn)
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#1 Codex Germanicus

Helikon – Budapest, 1993

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Verlag: Helikon – Budapest, 1993
Einband: Das Faksimile mit goldgeprägtem Ledereinband und Goldschnitt kommt zusammen mit dem Kommentarband mit Halbleineneinband in einer Velours-Kassette
Kommentar: 1 Band von Eva Knapp
Sprachen: Deutsch, Ungarisch
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