Krumauer Bildercodex
Ein echtes Bilderbuch ist diese besondere Biblia Pauperum. Ihr Ziel ist nicht nur, dass alle leicht etwas vom Wort Gottes begreifen konnten, sondern auch, dass der Betrachter durch die anschauchlichen und plastischen Federzeichnungen dreier unterschiedlicher HĂ€nde einen persönlichen und emotionalen Zugang zu den religiösen Inhalten gewinnen konnte. Dies war in der Mitte des 14. Jahrhunderts ein wichtiges BedĂŒrfnis der Zeit, als die BrĂŒder des Krumauer Minoritenklosters im heutigen Tschechien diesen Codex fĂŒr den Eigengebrauch anfertigten. Die Inhalte der Geschichten aus Bibel und Heiligenviten werden in den Federzeichnungen transportiert und mit kurzen Ăberschriften in gotischen Minuskeln zusammengefasst. Manchmal enthalten die Bilder sogar SĂ€tze der dargestellten Personen in direkter Rede â Ă€hnlich wie im heutigen Comic.
Eine Biblia pauperum in packenden Bildern
Der Krumauer Bildercodex wird wegen seines ungewöhnlich reichen Bildschmuckes sowie wegen einer Inschrift auf der Titelseite auch als âliber depictusâ (âgemaltes Buchâ) bezeichnet. Er zĂ€hlt zu den wertvollsten Handschriften der Ăsterreichischen Nationalbibliothek, wohin er im Zuge der Klosterauflösungen Josefs II. gelangte.
Auf 172 Pergamentseiten umfasst der Codex eine Biblia pauperum (âArmenbibelâ), zahlreiche Heiligenlegenden und einige ErzĂ€hlungen lehrhaften Charakters. Er ist seiner Anlage nach kein Schriftwerk, das illustriert wurde, sondern tatsĂ€chlich ein Bilderbuch, dessen Inhalt in BildĂŒberschriften kurz erlĂ€utert wird. Die zahlreichen Federzeichnungen, die von drei verschiedenen Meistern ausgefĂŒhrt wurden, vermitteln in andĂ€chtiger Weise den religiösen Inhalt. So kann sich der fromme Betrachter durch einfĂŒhlendes Nacherleben in die Heilsgeschichte vertiefen und diese mehr vom Herzen als vom Verstande her begreifen.
Der Krumauer Bildercodex ist vermutlich als Produkt gemeinschaftlicher Arbeit im Minoritenkloster von Krumau entstanden und war fĂŒr das Kloster selbst bestimmt. Er diente fĂŒr den niederen Klerus als Erbauungsbuch, in dem das geschriebene Wort hinter das Bild zurĂŒcktrat. Dies vermochte die religiösen BedĂŒrfnisse der Zeit tiefer zu befriedigen als es der reine Text getan hĂ€tte.
Ein erbauliches Bilderbuch
Die Bilder des Krumauer Codex sind Federzeichnungen, eine Technik, die zu Beginn des 14. Jh.s in ganz Europa verbreitet war und vor allem fĂŒr didaktische und wissenschaftliche Handschriften verwendet wurde. Diese Federzeichnungen sind von drei verschiedenen HĂ€nden ausgefĂŒhrt worden, die trotz der stilistischen Unterschiede ein einheitliches Ganzes geschaffen haben. Das Geschehen wird in allen Details sehr lebendig und naturalistisch geschildert, wodurch die anschauliche Wirkung des âliber depictusâ stark zum Ausdruck kommt.
Die in zwei oder drei Streifen ĂŒbereinander angeordneten Bildfolgen werden von kurzen lateinischen Textpassagen erlĂ€utert, die gleichsam als Ăberschriften die bildliche ErzĂ€hlung begleiten. Sie wurden von insgesamt sechs verschiedenen HĂ€nden in gotischen Minuskeln geschrieben und nehmen nur selten mehr als eine Zeile in Anspruch. Vereinzelt sind noch im Bild selbst ErgĂ€nzungen angebracht, wie z. B. Personennamen oder auch SĂ€tze in direkter Rede, die wie bei modernen Comics die beteiligten Figuren sprechen lassen.
Die Biblia pauperum
Die Biblia pauperum, die wohl in der Mitte des 13. Jh.s entstand, gehört zum typologischen Schrifttum des SpĂ€tmittelalters und erzĂ€hlt den gesamten Zyklus des Lebens und Leidens Christi. In drei Bildern werden jeweils Szenen des Alten und des Neuen Testaments einander gegenĂŒbergestellt, wobei jeweils zwei Szenen aus dem Alten Testament (sog. Typen) ein Ereignis aus dem Neuen Testament (sog. Antitypus) rahmen. Die alttestamentlichen âTypenâ werden dabei als symbolische Vorwegnahme des neutestamentlichen âAntitypusâ und dieser wieder als nachtrĂ€gliche BestĂ€tigung jener verstanden.
Eine bildschöne Quelle fĂŒr Kunst- und Kulturgeschichte
Wertvolle Hinweise auf Ort und Zeit der Entstehung des Krumauer Bildercodex finden sich in den drei ganzseitigen Darstellungen. Das Titelbild mit der Darstellung Marias als apokalyptische Sonnenbraut und die Darstellung der Menschwerdung Christi (fol. 156r) stellen einen direkten Bezug zur Weihe des Minoritenklosters in Krumau her, die im Jahre 1358 âin honore corporis et Virginis Mariaeâ erfolgte. Zudem manifestiert sich im Titelbild eine entscheidende Wendung im religiösen Denken des Mittelalters: die Wendung von der spekulativen zur visionĂ€ren Frömmigkeit, vom Abstrakten ins Anschauliche.
Ein solch anschauliches Bilderbuch sollte weniger die Kenntnis als vielmehr Vorstellungen von erbaulichen Ereignissen vermitteln. Indem das geschriebene Wort hinter das Bild zurĂŒcktrat, sollte nicht nur fĂŒr die unteren Bevölkerungsschichten, die des Lesens unkundig waren, eine religiöse Kunst geschaffen werden, sondern auch die damaligen religiösen BedĂŒrfnisse der adeligen sowie der klösterlichen Kreise tiefer befriedigt werden.
Kodikologie
- Alternativ-Titel
- Krumlov Picture Codex
- Umfang / Format
- 344 Seiten / 34,5 Ă 25,3 cm
- Herkunft
- Tschechien
- Datum
- Um 1360
- Stil
- Sprache
- Auftraggeber
- Kloster Krumau
Krumauer Bildercodex
Christus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel
Ein beliebtes Thema in der christlichen Kunst, vielleicht weil es die einzige Episode aus den Evangelien ist, in der Jesus eine Strafe austeilt, anstatt sie zu erleiden, ist die sogenannte "Tempelreinigung". Sie ist Teil der ErzĂ€hlung aller vier Evangelien. Die meisten kĂŒnstlerischen Darstellungen, so auch diese, basieren jedoch auf dem Bericht des Johannes, der als einziger angibt, dass Jesus eine Peitsche mit Sehnen benutzte, um Mensch und Tier aus dem Tempel zu treiben, wĂ€hrend er das Geld der Wechsler ausschĂŒttete und ihre Tische umstieĂ.
Krumauer Bildercodex
Abstieg in die Hölle, Auferstehung und drei Marien am Grab
Der im unteren Register dargestellte so genannte Abstieg Christi in die Hölle ist eine Episode nach der Kreuzigung, in der Christus triumphierend in die Unterwelt hinabsteigt und den dort gefangenen Seelen die Erlösung bringt. Hier schlĂ€gt er mit seinem Kreuzesstab die Tore der Hölle ein und wird von einem DĂ€mon empfangen; beide zeigen und gestikulieren, als wĂŒrden sie miteinander debattieren.
Im oberen Register ist der auferstandene Christus dargestellt, der aus seinem Grab heraussteigt und die Wunden der Kreuzigung trĂ€gt, im Gegensatz zum unteren Register, wo sein Körper unversehrt dargestellt ist, wĂ€hrend die zierlichen WĂ€chter schlafen. Auf der linken Seite kommen die drei Marien am leeren Grab an, wo sie von einem Engel begrĂŒĂt werden, der ihnen sagt, sie sollen Christus in GalilĂ€a suchen.
#1 Der Krumauer Bildercodex
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