Tacuinum Sanitatis in Medicina
Eines der Ă€sthetischsten Beispiele fĂŒr den hervorragenden Ruf der arabischen Heilkunst im Mittelalter ist das âTaqwim es-sihhaâ des Arztes Ibn Butlan, der dieses gattungsbildende Werk um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Bagdad oder Antiochien verfasste. Der Titel bedeutet auf Arabisch etwa âTabellarische Ăbersicht der Gesundheitâ. Ibn Butlan stellte ĂŒber 200 Objekte unter der Hinsicht ihres Einflusses auf die menschliche Gesundheit zusammen: von Nahrungsmitteln wie Kamelfleisch und Melonen ĂŒber die Jahreszeiten bis zur Musik. Der unbebilderte arabische Text wurde am Hof Manfreds von Sizilien (1258â1266) ins Lateinische ĂŒbersetzt und der Titel als âTacuinum sanitatisâ latinisiert. In dieser prachtvollen Handschrift gleichen die Bilder TafelgemĂ€lden. Sie erzĂ€hlen dem Betrachter vollstĂ€ndige Geschichten und machen dabei immer eines deutlich: den Zusammenhang und die Bedeutung der Objekte fĂŒr die Gesundheit des Menschen.
Ein medizinisches Hausbuch mit 206 Miniaturen
Eine der schönsten und am reichsten ausgestatteten Handschriften der Ăsterreichischen Nationalbibliothek ist das Tacuinum sanitatis in medicina, âTabellarische Ăbersicht der Medizinâ. Dieses aufwendig bebilderte heilkundliche Handbuch war vor allem fĂŒr den Laien gedacht, genauer fĂŒr Angehörige des Hochadels oder reiche Patrizierfamilien, die sich ein so kostspieliges âNachschlagewerkâ fĂŒr die HaushaltsfĂŒhrung, das Gesundheitswesen und die Krankenpflege leisten und es auch lesen konnte.
Der Buchtyp geht auf eine arabische Quelle zurĂŒck, die vom christlichen Arzt Ibn Butlan im 11. Jh. verfasst wurde und unter dem Titel Taqwim es-sihha bekannt war. Die arabische Heilkunst, die viel antikes Wissen sicherte, hatte im Mittelalter entscheidenden Einfluss auf die abendlĂ€ndische Medizin und besaĂ einen hervorragenden Ruf. Die lateinische Ăbersetzung, die den Text den Gebildeten des europĂ€ischen Mittelalters ĂŒberhaupt erst zugĂ€nglich machte, fand eine weite Verbreitung, wovon noch heute mehrere erhaltene Handschriften zeugen.
WĂ€hrend das berĂŒhmte Werk zunĂ€chst nur aus synoptischen Tabellen ohne Illuminationen bestand, wurde es ab dem 14. Jh. reich mit groĂen Bildern ausgestattet, so dass die Texte auf wenige Zeilen verkĂŒrzt wurden. Eine der Ă€ltesten und sicherlich auch schönsten Handschriften dieser Art ist das hier vorgestellte Tacuinum, das auf 206 ganzseitigen, farbenprĂ€chtigen Miniaturen all das abbildet, was zur Zeit der Entstehung der schriftlichen Vorlage mit der Gesundheit des Menschen und seinem Wohlbefinden im Zusammenhang stand.
Ein Zeugnis der berĂŒhmten orientalischen Heilkunst
âTacuinumâ ist die latinisierte Form des arabischen Wortes "Taqwim", das unĂŒbersetzt geblieben ist. Da das Werk insbesondere in Italien eine weite Verbreitung fand, wurde das Wort âTacuinumâ auch in die italienische Volkssprache ĂŒbernommen: âTacuinoâ bedeutet heute im Italienischen soviel wie âNotizbuchâ.
Der im Mittelalter sehr bekannte Arzt Ibn Butlan (â  um 1065), mit vollem Namen AbĆ« l-កasan al-Muáž«tÄr bin al-កasan bin ÊżAbdĆ«n bin SaÊżdĆ«n bin BuáčlÄn, verfasste im 11. Jh. neben mehreren anderen medizinischen Werken das umfangreiche Taqwim es-sihha, womit er groĂe BerĂŒhmtheit erlangte. Im 13. Jh. wurde dieses aus synoptischen Tabellen ohne Illustrationen bestehende Werk wahrscheinlich am Hof König Manfreds von Sizilien ins Lateinische ĂŒbersetzt, woraufhin es sich im lateinischen Europa immer weiter verbreitete und schlieĂlich einen nachhaltigen Einfluss auf die abendlĂ€ndische Medizin hatte.
Ein prachtvolles Zeugnis der Buchmalerei
Das Werk ist nicht nur fĂŒr historisch interessierte Mediziner und Pharmazeuten von Bedeutung, sondern bildet wegen seiner ĂŒber 200 Miniaturen auch ein umfangreiches und faszinierendes Anschauungsobjekt fĂŒr Liebhaber und Forscher der Buchmalerei. DarĂŒber hinaus vermittelt es in seinen Darstellungen ein plastisches Bild alter italienischer Kultur sowie vielen Aspekten des tĂ€glichen Lebens, wodurch es auch eine reichhaltige kulturhistorische Quelle darstellt.
Das Tacuinum dĂŒrfte gegen Ende des 14. Jh. im Auftrag Giangaleazzo Viscontis (1351â1402) in der Werkstatt von dessen LieblingskĂŒnstler Giovannino de' Grassi (1340erâ1398) geschaffen worden sein. Das Wappen auf fol. 3v lĂ€sst darauf schlieĂen, dass die luxuriöse Handschrift ein politisches Geschenk an ein Mitglied der Familie Speroni aus Padua war, die nach Giangaleazzos Eroberung Veronas am MailĂ€nder Hof verkehrten. Sie wurde von zwei talentierten Malern angefertigt, die besonders durch ihren Naturalismus und ihre Beobachtungsgabe ĂŒberraschen. Die Farben sind sehr krĂ€ftig gewĂ€hlt und verleihen den Miniaturen eine bezaubernde Frische und Lebendigkeit.
Ein medizinisches Bilderbuch
In den 206 ganzseitigen Miniaturen werden zahlreiche materiae medicae dargestellt, wozu nicht nur Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und verarbeitete Arzneien gehörten, sondern auch Winde, Jahreszeiten und andere Umweltfaktoren wie Emotionen und FreizeitbeschĂ€ftigungen. Ihre Auswirkungen auf den menschlichen Organismus werden auf Basis antiker medizinischer Lehren beschrieben. So wird in wenigen Zeilen unter jedem Bild der Nutzen und Schaden der jeweiligen materia medica fĂŒr verschieden konstituierte Menschen knapp erlĂ€utert.
Somit ist das Tacuinum ein medizinisches Bilderbuch, das zwar in der Tradition antiker Herbarien steht, aber mit seinen dominierenden Miniaturen zu einem neuen Genre medizinischer Codices gehört. Die Besonderheit der bildlichen Darstellungen liegt dabei darin, dass die einzelnen materiae medicae nicht isoliert abgebildet werden, sondern â wie auch im Text â der Zusammenhang mit dem Menschen im Vordergrund steht. Immer wird dessen BeschĂ€ftigung mit den jeweiligen GewĂ€chsen, Tieren und anderen Dingen gezeigt. Allerdings ging es in der Darstellung nicht um eine genaue Wiedererkennbarkeit oder genaue Illustration der im Text beschriebenen RatschlĂ€lge hinsichtlich Zubereitung und Einnahme. Vielmehr entstehen naturalistische Genreszenen, die mit ihrem reichen Fundus an Realien viel von den Lebensgewohnheiten und LebensumstĂ€nden der BĂŒrger einer spĂ€tmittelalterlichen italienischen Stadt vermitteln und den ursprĂŒnglichen aristokratischen Betrachtern ein idealisiertes Bild ihres Herrschaftsgebiets prĂ€sentierten.
Neben dieser groĂen kulturhistorischen Bedeutung liegt der besondere Reiz des Tacuinums fĂŒr den heutigen Betrachter in der Möglichkeit, zeitgenössische Heilmittel aus der Natur und Praktiken fĂŒr eine gesunde LebensfĂŒhrung direkt mit den vor nahezu 600 Jahren angewandten materiae medicae zu vergleichen.
Kodikologie
- Alternativ-Titel
- CĂłdice de Cerruti
Das Hausbuch der Cerruti
Taqwim-as-Sihha - Art
- Handschrift auf Pergament
- Umfang / Format
- 214 Seiten / 33,2 Ă 23,0 cm
- Herkunft
- Italien
- Datum
- Ende des 14. Jahrhunderts
- Epoche
- SpĂ€tes Mittelalter und jĂŒnger
- Stil
- Gotisch
- Genre
- Medizin / Botanik / Alchemie
- Sprache
- Latein
- Schrift
- Italienische Rotunda
- Buchschmuck
- 206 ganzseitige Miniaturen von zwei HĂ€nden, 2 Wappenseiten
- Inhalt
- Inhaltsverzeichnis, Vorrede, Hauptteil aus dominierenden Miniaturen mit kurzen medizinischen ErlÀuterungen zur jeweiligen "materia medica" darunter
- Auftraggeber
- Wohl Giangaleazzo Visconti
- KĂŒnstler / Schule
- Wohl Giovannino deâ Grassi und Werkstatt
- Vorbesitzer
- Alvarotto oder Pietro Speroni
Georg von Liechtenstein, Bischof von Trient
Schloss Ambras bei Insbruck
Tacuinum Sanitatis in Medicina
âWollwarenâ
Unter der Ăberschrift âUestis laneaâ, also âWollwarenâ, zeigt die Miniatur das GeschĂ€ft eines mittelalterlichen MaĂschneiders. Dieser ist völlig in modischem Rot gekleidet und gerade dabei, die finalen Abmessungen an dem feinen, blauen Mantel seines Kunden vorzunehmen. Im Hintergrund nĂ€hen zwei fleiĂige, junge Lehrlinge bereits die nĂ€chsten KleidungsstĂŒcke, wobei sie vor einem ausladenden Tisch sitzen, auf dem sich aufgerollte Tuche, eine Schere und Stoffreste befinden.
Tacuinum Sanitatis in Medicina
Saure Ăpfel ernten
Wie im Rest der Handschrift wird diese prĂ€chtige Miniatur in einem auffallend einfachen roten Rahmen prĂ€sentiert, der es dem Betrachter ermöglicht, sich auf die groĂe Sorgfalt zu konzentrieren, die der KĂŒnstler fĂŒr sie aufgewendet hat. Der Baum selbst ist reich an FrĂŒchten und Ă€uĂerst detailliert in verschiedenen GrĂŒntönen gehalten, mit denen der KĂŒnstler der Miniatur geschickt den Eindruck von Tiefe verleiht.
BlĂ€tter und Ăpfel purzeln durch die Luft, da ein Mann in einer bestickten blauen Tunika und roten Beinkleidern eine Stange benutzt, um sie herunterzuschlagen. Eine Frau in einem flieĂenden roten Kleid und einer blauen Bluse schĂŒtzt ihren Kopf mit der rechten Hand vor den herabfallenden FrĂŒchten, wĂ€hrend sie mit der linken einen noch leeren Korb hĂ€lt. Abgesehen von seinem lĂ€ndlichen Idealismus zeichnet sich das Bild auch durch eine nahezu perfekte Symmetrie in Form und Farbe aus.
#1 Tacuinum Sanitatis in Medicina
Details zur Faksimile-Edition:
Sprache: Deutsch
Die Faksimile-Ausgabe wird von einem wissenschaftlichen Kommentar von Franz Unterkircher begleitet. Er beschreibt ausfĂŒhrlich das Ă€uĂere Erscheinungsbild der Handschrift und ihre Geschichte, stellt den Autor vor und geht auf eine ganze Reihe von kunsthistorischen Fragen ein. Der Kommentar ist mit einer Transkription des lateinischen Textes und einer deutschen und englischen Ăbersetzung versehen, wodurch er fĂŒr das VerstĂ€ndnis des Faksimiles eine ausgezeichnete Hilfestellung gibt.
Vorwort von J. Stummvoll, Wien. Einleitung, Transkription des lateinischen Textes und Ăbersetzung der Bildunterschriften ins Deutsche von F. Unterkircher, Wien. Ăbersetzung der Bildunterschriften ins Englische von H. Saxer, Wien, und C. H. Talbot, London. 148 S. Text und 8 Tafeln auf Kunstdruck. Halbleder mit Papierpergament.
(1.000⏠- 3.000âŹ)
#2 Tacuinum Sanitatis in Medicina
Details zur Faksimile-Edition:
Sprache: Italienisch
(1.000⏠- 3.000âŹ)
#3 CĂłdice de Cerruti
Details zur Faksimile-Edition:
(unter 1.000âŹ)
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