Karolingische Buchmalerei

Die karolingische Renaissance (ca. 780 – ca. 900) wurde von Kaiser Karl dem Großen (742–814), dem Begründer eines Nachfolgestaats des Weströmischen Reichs, auf den Weg gebracht und war die erste von drei „Erneuerungsbewegungen“, die in der italienischen Renaissance des 14. Jahrhunderts ihren vollendetsten Ausdruck fand. Sie ist benannt nach Karl dem Großen, von zeitgenössischen Chronisten auch Karolus genannt, der Ordnung und Stabilität im lateinischen Europa herstellte, Klöster in seinem Reich und Skriptorien an seinem Hof gründete, und darüber hinaus unter den fränkischen Adeligen und Kirchenfürsten eine Kultur der Kunstförderung etablierte.

Durch das Zusammenführen von irischen, angelsächsischen und byzantinischen Gelehrten an seinem Hof – Alkuin von York (ca. 735–804) war einer davon – bündelte er nicht nur die führenden Köpfe seiner Zeit, sondern beförderte auch die Verschmelzung verschiedener Kunsttraditionen. Eine Leistung dieser Gelehrten-Kollaboration war die Schaffung einer einheitlichen Schrift für das Reich, die sogenannte karolingische Minuskel, die die Grundlage unserer modernen Schrift ist.

Die karolingische Buchmalerei entstand um ca. 780 in den Hof- und Palastschulen Karls des Großen und bestand bis ins 10. Jahrhundert. Sie brachte solch unvergleichliche Prachthandschriften wie die Bibel von St. Paul vor den Mauern hervor, das an Kostbarkeit und Kunstfertigkeit kaum zu überbieten ist. Sie verbindet die Ornamente der insularen Kunst mit der Dynamik der spätantiken Kunst und der monumentalen und symbolträchtigen Ästhetik der byzantinischen Buchmalerei, wodurch eine Kontinuität mit Rom als auch ein Verweis auf den Beginn einer neuen Zeit zum Ausdruck gebracht wurden. Die ottonischen, romanischen und gotischen Kunsttraditionen haben allesamt ihre Wurzeln in der karolingischen Kunst und dürfen als ihre Nachfahren gelten.

Veranschaulichung anhand einer Beispielseite

Bibel von St. Paul vor den Mauern

Widmungsbild von Karl dem Kahlen

Diese prächtige ganzseitige Miniatur zeigt Karl den Kahlen, den Enkel Karls des Großen, gekrönt und gekleidet in eine mit Juwelen besetzte Toga und eine gemusterte Tunika in der Art eines spätrömischen Kaisers. Er thront unter einem kunstvollen, klassisch gestalteten Baldachin mit Wänden aus Vorhängen, der den Rahmen aus Akanthusblättern überlappt, so dass es scheint, als würde er selbst aus diesem Rahmen großen Rahmen herausragen.

Heilige und Engel mit goldenen Heiligenscheinen blicken vom Himmel auf Karl herab, der von zwei bewaffneten Männern und zwei reich gekleideten Hofdamen flankiert wird. Das Buch selbst fehlt, was für Widmungsminiaturen aus dieser Zeit typisch ist. Für das prächtige Bild wurden teure Pigmente sowie Blattgold und -silber verwendet, und der begleitende Text ist mit goldener Tinte vor einem purpurfarbenen Hintergrund geschrieben.

Aus der Dunkelheit ins Licht

Die sogenannte karolingische Renaissance (ca. 780 – ca. 900), in deren Verlauf an verschiedenen Königspfalzen zahlreiche Klöster, ausgestattet mit Skriptorien und Schulen, entstanden, bildeten das Fundament für die Renaissance des 14. Jahrhunderts, die sich von Italien aus nach Norden ausbreitete und in den Augen vieler die „eigentliche“ Renaissance (dt. Wiedergeburt) der Antike darstellt. Ihr Vorläufer wurde von Kaiser Karl dem Großen initiiert, der damit die Absicht verfolgte, einen Nachfolgeherrschaft des Weströmischen Reichs zu schaffen, und das nicht nur durch Eroberungen und Verwaltung von Territorien, sondern auch durch Erneuerung der Bildung und Künste. Entgegen der weit verbreiteten Annahme eines „dunklen Zeitalters“ kamen im Frühmittelalter Kunst und Kultur keineswegs zum Erliegen – die insulare Buchmalerei brachte zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert einige der schönsten erhaltenen Meisterwerke der mittelalterlichen Kunst hervor, und auch unter den Karolingern stieg die Handschriftenproduktion exponentiell an, erhöhte sich die Kunstfertigkeit und verfeinerten sich die verwendeten Materialen.

Obwohl diese erste Renaissancebewegung durch die Instabilität des 10. Jahrhunderts, das von Überfällen durch Wikinger aus dem Norden, Magyaren aus dem Osten und Umayyaden von der iberischen Halbinsel geprägt war, zu Ende ging, wurde die Produktion karolingischer Kunst nicht von heute auf morgen eingestellt, sondern wurde fortgesetzt bis sich allmählich ein neuer künstlerischer Stil herausbildete. Die karolingische Renaissance und ihre künstlerische Ästhetik waren wegbereitend für das hochmittelalterliche Wiederaufleben europäischer Kunst und Bildung, das schließlich zur italienischen Renaissance führte.

Die karolingische Dynastie

Die Karolinger waren eine der mächtigsten und einflussreichsten europäischen Herrscherdynastien. Sie wurde im 7. Jahrhundert von Karl Martell (ca. 688 – 741), dem Sieger der Schlacht von Tours (732), begründet und von dessen Enkel, Karl dem Großen, oder Karolus wie er in zeitgenössischen Berichten gern genannt wird, zu enormer Macht geführt. Das Reich Karls des Großen umfasste das heutige Frankreich, die Niederlande, Deutschland, Norditalien und besaß darüber hinaus Vasallenstaaten in Mitteleuropa. Daneben war Karl der Große, wie auch seine Nachfahren, einer der größten Förderer von Bildung und Kunst in der Geschichte.

Die Karolinger schufen bewusst eine künstlerische Ästhetik, die in der Tradition der Spätantike stand, um damit ihren Anspruch auf das kaiserliche Erbe Roms zum Ausdruck zu bringen. Aus diesem Grund stellte man Figuren stets in Togen dar statt sie in zeitgemäße Mode zu kleiden. Dass sich die Karolinger als Nachfahren der klassischen Tradition inszenierten, ist für einige Historiker ein Argument für die umstrittene These, dass das Mittelalter nicht mit der Auflösung des Weströmischen Reichs, sondern erst mit dem Aufstieg des Karolingerreichs begänne. Anders ausgedrückt sei das traditionelle, vorkarolingische Frühmittelalter eigentlich noch Teil der Spätantike. Von Theoriebildungen abgesehen, machten die Karolinger mit ihrer Ästhetik eine eindeutige Aussage: Wir sind die neuen Cäsaren.

Karolingische Minuskel: Standardisierung und Lesbarkeit

Auch wenn das Kultur- und Bildungswesen in den Jahrhunderten nach dem Niedergang des Weströmischen Reichs nicht völlig einbrach, wurden die Klöster zunehmend zu isolierten Inseln der Gelehrsamkeit. Die einheitliche Schrift der Römer begann sich aufzulösen und eine unübersichtliche Anzahl verschiedenster Schriftarten trat an ihre Stelle, die von fürchterlich schlampig bis enorm kompliziert reichten und damit für Personen außerhalb der Gemeinschaften, die sie verwendeten, weitgehend unlesbar waren. Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und relativen Ruhe blieb den Klöstern auf den Britischen Inseln, insbesondere in Irland, dieses Schicksal erspart. Sie konnten die alten Standards bewahren und spielten in der Folgezeit eine zentrale Rolle in der Schaffung einer neuen, einheitlichen Schrift, die für alle Gelehrten gleichermaßen lesbar war. Um die aufgelöste Gelehrtengemeinschaft im Westen wieder zu vereinen, musste Karl der Große auf dem Kontinent zunächst etwas gegen diese Heterogenisierung der Schrift unternehmen.

Er holte angelsächsische und irische Mönche, darunter Alkuin von York (ca. 735–804), an seinen Hof in der Residenzstadt Aachen, übertrug ihnen die Leitung der Skriptorien und beauftragte sie, die Schrift zu vereinheitlichen und die Standards wiederherzustellen, die in früheren Zeiten unter Gelehrten üblich gewesen waren und die uns heute selbstverständlich erscheinen. Das Ergebnis ist bekannt: Basierend auf einer Kombination von römischer Halbunziale und insularen Schriftformen, besticht die karolingische Minuskel durch klare, einheitliche und runde Formen. Sie entstand um 800 und wurde noch bis ins 12. Jahrhundert verwendet. In der italienischen Renaissance erlebte sie eine Wiederbelebung durch Schreiber, denen sie als Grundlage für neue Schriftarten diente.

Die karolingische Minuskel war eine wesentliche Voraussetzung für die Anfertigung leserlicher Abschriften antiker Texte. In der Tat basiert ein Großteil unserer heutigen Kenntnisse der klassischen Literatur auf Übersetzungen antiker Texte, die in den karolingischen Skriptorien angefertigt wurden. Die Erfindung der karolingischen Minuskel ist unübertroffen unter den kulturellen Leistungen des sogenannten „Vaters von Europa“.

Einflüsse und Ästhetik

Typisch für die karolingische Buchmalerei ist die Verbindung von nördlichen und östlichen Illustrationsstilen, die sich aus der gemeinsamen Arbeit der Illustratoren und Schreiber ergab, die Karl der Große aus Byzanz und von den Britischen Inseln ins Frankenreich holte. Hier brachte jeder Künstler die Tradition und den Stil ein, die er in seinem Herkunftsland erlernt hatte.

In der byzantinischen Buchmalerei, die ursprünglich stark in der klassisch-antiken Kunst verwurzelt war, hatte man den Realismus zugunsten eines abstrakten und anti-naturalistischen Stils mit großer Symbolkraftaufgegeben, um der Verbindung von Religion und Kaisertum, die das Byzantinische Reich prägte, Ausdruck zu verleihen. Die Figurenzeichnung erscheint oft monumental vor monochromen oder architektonischen Hintergründen.

Die insulare oder hiberno-sächsische Buchmalerei wiederum hat ihre Ursprünge in den vorchristlichen keltischen und germanischen Traditionen, weist aber auch Einflüsse von römischer und koptischer Kunst auf, die sich besonders in der Darstellung von Teppichen und Mosaiken zeigt. Ein einzigartiges Charakteristikum der insularen Kunst ist das komplizierte Flechtwerk. Dieses verschlungene Ornament, manchmal auch keltischer Knoten genannt, wurde häufig als Randverzierung eingesetzt, etwa um Evangelistenporträts oder andere Miniaturen zu umrahmen, oder als Füllung für höchst kunstvolle und komplexe Initialen in größerer oder kleinerer Ausführung.

In der karolingischen Kunst verschmolzen diese verschiedenen Stilrichtungen zu einer Ästhetik, in der die ungezügelte Energie des insularen Stils und die Feierlichkeit der byzantinischen Tradition Eins wurden. Es war der künstlerische Ausdruck eines Kaisers, der einerseits in die Vergangenheit blickte und andererseits eine neue Herrscherdynastie gründete.

Mäzene und Zentren der Produktion

Neben Karl dem Großen förderten auch andere hochrangige Mitglieder des fränkischen Adels, darunter legitime und illegitime Nachfahren des Kaisers, die wunderbare Kunst der Buchmalerei. Porträts der Stifter gingen dabei häufig als „Widmungsbilder“ oder „Dedikationsbilder“ in die Manuskripte ein, das heißt, es wurde ein Bild vorangestellt, das den Auftraggeber bei der Entgegennahme des Buches aus den Händen des Autors, Schreibers oder Buchmalers zeigt. Die aufwendigen Manuskripte konnten entweder Auftragswerke für den privaten Gebrauch sein, oder sie waren für den zeremoniellen Gebrauch bestimmt und wurden als Geschenke an Klöster oder Kathedralen vergeben, manchmal als Teil einer größeren Schenkung. Sie wurden in der Regel von klerikalen Künstlern (die fast immer anonym blieben) angefertigt, die in einem der Skriptorien oder Klöster arbeiteten, die Karl der Großen an seinen Königspfalzen gegründet hatte.

Das Zentrum der karolingischen Buchmalerei verschob sich im Laufe der Jahrzehnte und auch der vorherrschende Stil änderte sich. Die Hofschule und die Palastschule Karls des Großen an der Aachener Kaiserpfalz waren die ersten Zentren künstlerischer Produktion. Während die Hofschule von Alkuin geführt wurde und hauptsächlich aus Iren und Angelsachsen bestand, stammten die Künstler der Palastschule aus Byzanz oder aus dem byzantinischen Teil Italiens. Andere Produktionsstätten entstanden später in Reims, Tours und Metz, wovon die meisten unter der Schirmherrschaft der Nachkommen Karls des Großen standen und jede ihre eigenen Stilmerkmale entwickelte.

Popularität des Psalters

Unter den erhaltenen mittelalterlichen Handschriften ist das Stundenbuch der häufigste Buchtypus. In Zeiten des 8. und 9. Jahrhunderts existierte diese Buchform allerdings noch nicht. Als sein Vorläufer gilt der Psalter, der neben weiteren Gebetstexten wie dem liturgischen Kalender und der Litanei der Heiligen alle oder einige Psalmen enthielt. Dem Stundenbuch ähnlich, waren Psalter-Handschriften in verschiedenen Größen erhältlich. Von großformatigen Ausgaben, die in einer privaten Kapelle oder Bibliothek aufbewahrt wurden, bis hin zu kleineren Formaten, die man tagsüber bei sich tragen konnte, war alles machbar.

Ein frühes Beispiel ist der Dagulf-Psalter (ca. 795), der als Geschenk für Hildegard, die Frau Karls des Großen, gedacht war: Das Buch ist klein genug, dass es die Besitzerin leicht mit sich führen konnte, und verfügt, wenn auch über keine Miniaturen, so doch über eine reiche Ausstattung mit großen, detaillierten, historischen Initialen in hellen Farben und Blattgold sowie einem vollständig in Goldtinte geschriebenen Text.

Der Stuttgarter Bilderpsalter und der Utrecht-Psalter sind ausführlich mit narrativen Szenen illustriert: Ersterer zeigt Miniaturen in hellen Farben, die sich an der klassischen Tradition orientieren und teilweise sogar auf antiken Vorlagen basieren, während letzterer mit meisterhaften Federzeichnungen ausgestattet ist, die einzigartig sind und den Skizzen eines großen Renaissancemeisters ähneln. Beide Werke verdeutlichen eindrücklich das Können und die Vielseitigkeit der Künstler in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts.

Eine besonders innovative Rarität stammt aus dem späten 9. Jahrhundert: das Psalterium Sancti Ruperti. Bei diesem Schmuckstück handelt es sich um das kleinste mittelalterliche Manuskript, das existiert – das Format seiner Seiten beträgt nur 3,7 x 3,1 cm. Trotz der Größe einer Zündholzschachtel ist der darin niedergeschrieben Text erstaunlich gut lesbar und mit ganzseitigen Miniaturen und blattgoldenen Initialen auf Purpurgrund verziert.

Die prächtigen Evangeliare Karls des Großen

Unter den Manuskripten, die Karl der Große in Auftrag gab, befinden sich zwei opulente Evangeliare, die unter allen anderen hervorstechen und zu den größten Werken der europäischen Kunst des Mittelalters zählen: das Lorscher Evangeliar und das Krönungsevangeliar des Heiligen Römischen Reiches.

Letzteres, nach seinem heutigen Aufbewahrungsort auch Wiener Krönungsevangeliar genannt, ist der Codex, auf den die deutschen Könige und Kaiser über Jahrhunderte ihren Eid ablegten, seit er (einer Legende nach) im Jahr 1000 im Grab Karls des Großen wiederentdeckt worden war. Das bedeutende Manuskript wurde kurz vor der Kaiserkrönung Karls des Großen an Weihnachten im Jahr 800 angefertigt und verströmt eine wahrhaft kaiserliche Aura dank der kreativen Leistungen seiner vermutlich byzantinischen Künstler: Es besteht ausschließlich aus purpurgefärbten Pergamentblättern, auf die der Bibeltext in Gold- und Silbertinteaufgetragen wurde und ist mit großen historischen Initialen und ganzseitigen Evangelistenporträts ausgestattet.

Das Lorscher Evangeliar ist ebenfalls ganz in Goldtinte geschrieben und enthält einige Purpurseiten. Bemerkenswert sind die ursprünglichen Buchdeckel und dazugehörigen fünfteiligen Elfenbeintafeln sowie die Tatsache, dass es sich um eines der letzten von Karl dem Großen in Auftrag gegebenen Manuskripte handelt, die noch zu seinen Lebzeiten fertiggestellt wurden. Seit dem 9. Jahrhundert war es das Schmuckstück des Klosters Lorsch und wurde dort bis zur Auflösung des Klosters im Jahr 1556 aufbewahrt.

Strahlende Sakramentare

Unter der Herrschaft Karls des Kahlen (823–877), des Enkels Karls des Großen, entstanden in der Karolingerzeit zwei Sakramentar-Handschriften von großer historischer und kunsthistorischer Bedeutung. Bei einem Sakramentar handelt es sich um eine Sammlung aller Texte und Lesungen zur Messfeier. Bischof Drogo (801–855) war ein mächtiger Kirchenfürst, einer der größten Kunstmäzene des 9. Jahrhunderts und einer der unehelichen Söhne Karls des Großen. Das Drogo-Sakramentar ist das Produkt einer der Hofschulen und trägt eine stark personalisierte Note, insofern es nur Lesungen für die Festtage enthält, an denen der Bischof selbst die Messfeier abhielt. Die Handschrift besticht durch Initialen im insularen Stil, die sowohl in kleiner, detaillierter wie auch in großer, elaborierter Ausführung vorkommen und teilweise mit figürlichen, den nebenstehenden Text ergänzenden Szenen gefüllt sind.

Das Sakramentar von Metz ist heute nur als Fragment erhalten, wenngleich nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich tatsächlich um ein Fragment handelt oder ob es von vornherein unvollendet geblieben ist. Dessen ungeachtet zählen seine Illuminationen zu den schönsten der karolingischen Epoche. Ein darin enthaltenes Krönungsbild legt die Möglichkeit nahe, dass der Codex als Krönungshandschrift für Karl den Kahlen gedacht war.

Es zeigt den König mit Heiligenschein, über dessen Haupt die Hand Gottes ein edelsteinbesetztes Diadem hält – die einzige unzweideutige Darstellung der Vorstellung von einer durch göttliche Gnade verliehenen Herrschaft in karolingischer Zeit. Der Text ist größtenteils in Goldtinte geschrieben, auf einigen Seiten wechseln sich jedoch goldene, grüne und rote Zeilen ab. Dazwischen befinden sich ganzseitige Miniaturen, die – wie auch der Text – von üppigen Bordüren eingefasst sind, in deren Ornamentik eine motivische Vielfalt von Akanthusblättern, farbigen Perlenschnüren, Edelsteinen, Blütenrosetten und Palmetten verarbeitet sind. An manchen Stellen finden sich historische Initialen in einer kunstvollen Mischung von goldenen und hell leuchtenden Farben. Beide Werke sind wahre Meisterleistungen der mittelalterlichen Buchkunst.

Die karolingische Apokalypse

Die zu allen Zeiten beliebte Gattung der Apokalypse-Handschriften, d.h. Codizes, die das neutestamentliche Buch der Offenbarung des Johannes enthielten, fand auch in der karolingischen Renaissance Ausdruck in einer Reihe faszinierender Exemplare, darunter die Trierer Apokalypse, die Apokalypse von Valenciennes und die Apokalypse von Cambrai.

Die Trierer Apokalypse von ca. 800 ist der erste illustrierte Codex der Offenbarung des Johannes und auch der umfassendste. Seine Bildsprache ist eine offensichtliche Anspielung auf die klassisch/heidnischen Götter und Motive der griechisch-römischen Welt.

Die Apokalypse von Valenciennes, die im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts entstand, beeinflusste maßgeblich den Illustrationsstil der berühmten Beatus-Manuskripte, in denen der Apokalypse-Kommentar des spanischen Mönchs Beatus von Liébana überliefert und illuminiert ist. Der Handschrift kommt dadurch eine immense Bedeutung für die Geschichte der spanischen Manuskriptproduktion zu.

Die aus dem nordfranzösischen Cambrai stammende Apokalypse von Cambrai aus dem späten 9. Jahrhundert besticht durch ihre klare Bildsprache und intensive Farbgebung. Die Komposition ihrer harmonischen Miniaturen basiert auf einer Verbindung von fränkischen und spätantiken Einflüssen, etwa dienen Tempelarchitekturen mit Säulen, korinthischen Kapitellen und Palmetten häufig als Hintergrund für dargestellte Szenen.

Die Apokalypse-Manuskripte zählen allgemein zu den vielgestaltigsten und facettenreichsten Werken des Mittelalters. Das zeigt sich selbst in dieser kleinen Gruppe karolingischer Apokalypsen, die alle innerhalb eines Jahrhunderts im fränkischen Kernland, d. h. im heutigen nordöstlichen Frankreich, entstanden sind und doch auf je eigene Weise einzigartig und wunderbar sind.

Schriften zu Medizin und Sternen

Obwohl reich illuminierte Handschriften in den häufigsten Fällen religiösen Inhalten vorbehalten waren, gab es auch wichtige weltliche Texte aus den Bereichen der Medizin, Astronomie und Astrologie, die in prächtig ausgestatteten Codices überliefert sind.

Karl der Große gab die Sammelhandschrift Herbolarium et Materia Medica in Auftrag, ein medizinisch-botanisches Werk mit Beschreibungen eines weiten Spektrums von Pflanzen und Tieren. Zu diesem Zweck veranlasste er die Mönche seines Reichs, sich mit den Anwendungen und dem Anbau von Heilpflanzen zu befassen und ihr erlerntes Wissen zu dokumentieren. Darüber hinaus beschrieben die karolingischen Mönche ihre Erfahrungen in der Haltung von Tieren und deren biologische Eigenschaften, die bis dahin unerforscht waren, und fügten zur Veranschaulichung detaillierte Illustrationen verschiedener Pflanzen und Tiere bei. Das so entstandene Herbolarium et Materia Medica ist das älteste bekannte Manuskript dieser Art.

Ein weiteres Beispiel weltlicher Buchkunst ist die wunderbare Aratea, das von Ludwig dem Frommen, eines Sohnes und Erben Karls des Großen, in Auftrag gegeben wurde. Das Werk war ein Meilenstein in der Lehre von den Sternen, Planeten und Himmelserscheinungen und genoss über die Jahrhunderte hinweg größte Beliebtheit, wie die vielfachen Übersetzungen der Schrift belegen. Die 39 ganzseitigen, mit Blattgold reich verzierten Miniaturen stellen die Figuren und Formen der antiken griechischen Mythologie dar, die dem Autor der Aratea als Grundlage für seine Astronomie diente. Das Buch konnte auch in der Navigation auf See eingesetzt werden, es war gewissermaßen ein Objekt der Ästhetik und der Zweckmäßigkeit zugleich. Dies sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, dass die karolingische Gelehrtenwelt durchaus Interesse hatte am Wissen der Antike und ihm durch die Überlieferung in kostbaren Handschriften sogar eine besondere Wertschätzung zukommen ließ.

Wiederherstellung von Recht und Ordnung

Als im 10. Jahrhundert eine Zeit der Instabilität über die karolingische Renaissance hereinbrach, die vor allem von Wikingerüberfällen und inneren Auseinandersetzungen zwischen den Nachkommen Karls des Großen herrührte, waren Recht und Ordnung wichtiger denn je. Aus diesem Grund wurden die ältesten germanischen Rechtsschriften, die Lex Salica, Lex Lombardia, Lex Bavaria und die Lex Ripuaria erstmals in einem einzigen Manuskript, den Leges Salicae, schriftlich zusammengefasst. In diesem Kompendium wurden Rechtsgepflogenheiten mit Strafen und Bußgeldern für kriminelle Vergehen sowie Bestimmungen des Erbrechts festgelegt.

Dieses sogenannte Salische Gesetz wurde die Grundlage der Rechtssysteme in ganz Europa und nicht nur in den Ländern des Heiligen Römischen Reichs, wo es bis ins 18. Jahrhundert als Grundlage Bestand hatte. Die so geschaffenen Rechtstraditionen wurden später in weiteren Handschriften, wie dem Sachsenspiegel und anderen Texten der „Spiegelliteratur“ aufgezeichnet und kunstvoll ausgeschmückt. Mittelalterliche Rechtstexte dieser Art eröffnen einen lehrreichen Blick in die damalige Zeit, in der Rechtsstreitigkeiten sehr häufig waren und die Menschen danach strebten, in einer gesetzlich geregelten Gesellschaft zu leben.

Das Erbe der karolingischen Buchmalerei

So wie das Reich Karls des Großen schließlich in verschiedene politische Einzelteile zerbrach, so ging auch die karolingische Buchmalerei in eine Vielzahl mannigfaltiger künstlerischer Stile über. Die deutlichste Fortführung erlebte sie in der ottonischen Buchmalerei, die am stärksten die hybride Ästhetik von monumentaler byzantinischer Illumination und komplizierter keltischer Kunstraffinesse bewahrte.

Benannt ist diese Kunstepoche nach der Dynastie Ottos I., der die Provinzen des Ostfrankenreichs zu einer Einheit zusammenführte, die im 10. Jahrhundert erstmals das heutige Deutschland erahnen lässt. Ottonische Buchmaler setzten darauf, den monumentalen, kaiserlichen Stil der karolingischen Illumination weiterzuentwickeln und zu verfeinern.

Die romanische Buchmalerei westlich des Rheins, die einerseits von der byzantinischen Kunst beeinflusst war, übernahm zugleich das innovative und anti-klassische Dekor der insularen Buchmalerei und setzte weiterhin auf Manuskriptgattungen, die schon bei den Karolingern große Beliebtheit genossen hatten, wie beispielsweise den Psalter. Der romanische Stil war der erste, der in jede Ecke Europas vordrang und dennoch in einzelnen Regionen unterschiedliche Spielarten hervorbrachte, aus denen sich wiederum der elegante Stil der Gotik entwickelte – es war die erste europaübergreifende ästhetische Bewegung. So wie Karl der Große heute als „Vater Europas“ gilt, so kann auch die karolingische Kunst als Vorläufer aller nachfolgenden europäischen Kunstepochen gelten.