Die Kunst der Initialen – Wenn Buchstaben zu Bildern werden

Die Initialkunst ist eine der bedeutenden Leistungen der mittelalterlichen Buchkunst. Zwar wurde bereits in der Spätantike damit begonnen, die Anfangsbuchstaben von Textabschnitten hervorzuheben, doch eroberten erst mittelalterliche Buchmaler und -malerinnen die Großbuchstaben (Majuskeln) als Feld für kreative Schaffenskraft. Initialen wurden im Laufe des Mittelalters zusammen mit Zierleisten und Rahmungen diejenigen Orte in wertvollen Manuskripten, an denen sich ihre Schöpfer künstlerisch ausprobieren und entfalten konnten. Die teils auch humoristischen Resultate zeugen von einer großen Gestaltungsfreude. Die oft goldgeschmückten kleinen Kunstwerke wurden schon im frühen Mittelalter zu einem zentralen Ausstattungselement weltlicher und religiöser Bücher und erfüllten dabei verschiedene Funktionen. Und gerade in der Zeit der ersten gedruckten Bücher zeigt sich, dass Initialen aus den Texten kaum mehr wegzudenken waren.

Ebenso wie die Schrift des Textkörpers und die Miniaturen entsprangen ihre Formen natürlich auch immer dem jeweiligen Zeitgeschmack und stilistischen Entwicklungen und veränderten sich demnach im Laufe der Zeit. Da es aber auch viele Kontinuitäten gab und einen unerschöpflichen Variantenreichtum, erwartet Sie hier keine Chronologie der Initialkunst, sondern vielmehr ein Einblick in die kreative Vielfalt der Formen und Typen, die mittelalterliche Buchmaler und -malerinnen hervorbrachten – von den beeindruckenden Flechtbandinitialen der frühen Buchkunst, über schlichte Lombarden und detailverliebten Ornament-Initialen hin zu fantasievollen zoomorphen und historisierten Initialen.

Bloße Dekoration?

Natürlich sind Initialen zunächst einmal ein dekorativer Schmuck, der ebenso wie etwa Miniaturen oder Rahmungen den Wert eines Textes untermauern, aber auch den Status und Wohlstand des Auftraggebers repräsentieren sollte. Teilweise fungieren sie aber auch als bildliche Ergänzung zum Text, sofern ihre Gestaltung einen inhaltlichen Bezug hat. Vor allem aber dienen Initialen der Gliederung und Hierarchisierung eines Textes, indem sie Abschnitte markieren und Übersichtlichkeit schaffen. Besonders wichtige Abschnitte oder der Beginn eines neuen Buches oder Kapitels können etwa mit sehr großen und prächtigen Initialen hervorgehoben werden – sogenannten primären Initialen. Unterkapitel oder kürzere Abschnitte werden tendenziell von kleineren oder schlichteren Initialen markiert, die man als sekundäre (und tertiäre) Initialen bezeichnet. Der Initialschmuck ist also oft hierarchisch gestaffelt, wie die Seite aus dem Oxforder Dekameron veranschaulicht.

Große Kunst im frühen Mittelalter: Flechtbandinitialen

Die insulare Buchmalerei des frühen Mittelalters brachte einen beeindruckenden Höhepunkt der Initialkunst hervor: Die Flechtbandinitiale. Ihre wohl berühmtesten Vertreter finden sich im Buch von Lindisfarne und im Book of Kells. Ihren Namen bekamen sie aufgrund der Flechtbandornamente, die ihre Gestaltung dominieren, aber auch mit antiken Ornamentformen und gerne auch zoomorphen, also tierähnlichen, Elementen kombiniert wurden. Die kunstvolle ornamentale Gestaltung wurde so weit getrieben, dass sich die Buchstaben teilweise regelrecht aufzulösen scheinen und kaum noch erkennbar sind – eine Entwicklung, die wir immer wieder beobachten werden.

Die gestalterische Fülle der insularen Flechtbandinitialen ist besonders bemerkenswert

Im Falle der insularen Flechtbandinitialen ist die gestalterische Fülle aber besonders bemerkenswert, da wir uns hier noch immer in der Anfangszeit der Initialkunst bewegen. Nicht allzu lange Zeit zuvor waren Initialen in der Buchkunst noch gar kein gängiges Gestaltungs- und Ordnungsprinzip. Kein Wunder also, dass karolingische Buchmaler und -malerinnen die insularen Vorbilder gerne aufgriffen, wie das Lorscher Evangeliar und die Bibel von St. Paul vor den Mauern wunderbar zeigen, und sich Flechtbandinitialen sogar noch im ottonischen Sakramentar Heinrichs II. finden.

Die Wurzeln der Initialkunst

Spätantike Texte weisen keine bis wenige schlichte Initialen auf. Hier wurde eher mit farbiger Auszeichnungsschrift gearbeitet, um den Beginn eines neuen Abschnitts zu markieren, was auch in mittelalterlichen Texten oft beibehalten wurde. Der Vergilius Augusteus zeigt hingegen die beginnende, aber zurückhaltende Verwendung von großen Initialen, die jedoch die Basis für die wachsende Bedeutung der Großbuchstaben im Mittelalter darstellte.

Ordnung im Text: Satzmajuskeln und Lombarden

Ähnlich wie der Vergilius Augusteus weisen die meisten erhaltenen mittelalterlichen Texte einen eher schlichten Initialschmuck auf. Der Großteil der textuellen Überlieferungen war insgesamt schmuckarm und nicht illuminiert, was Kosten sparte und auch oftmals der Textgattung geschuldet war. In Texten, die hauptsächlich mit schlichten Initialen, die auch als Satzmajuskeln bezeichnet werden, geschmückt waren, stand die Ordnung im Vordergrund.

Im Spätmittelalter entwickelte sich eine besonders bauchige Schriftform für diesen Zweck. Diese als Lombarden bezeichneten Initialen stechen zudem oft durch ihre kräftige Farbigkeit hervor, so etwa in Der Willehalm – Wolfram von Eschenbach. Das Nibelungenlied und die Klage zeigt eine schmuckvolle Weiterentwicklung dieses Typus, die sich durch einen zweifarbigen gespaltenen Buchstabenkörper auszeichnet, der zusätzlich mit blauen Konturbegleitstrichen besetzt ist.

Die Lombarde ist eine spätmittelalterliche, bauchige Variante der Satzmajuskel

Eine besonders kunstvolle und verspielte Variante der schlichten Satzmajuskeln kommt in der Divina Commedia 1491 vor, an deren kleine rote und grüne Sekundär-Initialen filigrane Blumensträußchen „gebunden“ wurden.

Kreative Vielfalt: Ornament-Initialen

Kommen wir aber zurück zu den schmuckreicheren Formen, die als Zierinitialen bekannt sind: Sie wurden meist rein ornamental, also nicht figürlich, gestaltet. Ihr Schmuck basiert auf geometrischen und vegetabilen (pflanzenartigen) Formen. Das mag zunächst einfach klingen, jedoch brachten mittelalterlicher Buchmaler und -malerinnen einen schier unerschöpflichen Variantenreichtum dieser Art von Initiale hervor – teilweise sogar innerhalb eines einzigen Manuskripts, wie das Lobgedicht auf Robert von Anjou vor Augen führt.

Ein Dauerbrenner der mittelalterlichen Buchkunst: Fleuronnée

Hinter dem französischen Begriff Fleuronnée verbirgt sich ein vorwiegend mit der Feder gezeichnetes und dementsprechend lineares Ornament aus stilisierten vegetabilen und zuweilen geometrischen Formen, die vielfältig variiert wurden. Als Initialschmuck verbreitete es sich ab dem 12. Jahrhundert rasant über regionale und Gattungsgrenzen hinaus und wurde eines der beliebtesten und weitverbreitetsten Ornamente für die Gestaltung sekundärer, aber auch primärer Initialen. Fleuronnée-Initialen kommen in praktisch allen Buchgenres über Jahrhunderte hinweg vor und wurden typischerweise in Rot und Blau gestaltet. Dabei besetzt rotes Fleuronnée in der Regel blaue Buchstaben und andersherum. Petrarcas Vergilianus-Codex enthält jedoch ein schönes Beispiel dafür, dass manchmal auch goldene Majuskeln mit Fleuronnée gestaltet wurden.

Fleuronnée war eines der beliebtesten Ornamente der spätmittelalterlichen Initialkunst

Gold und satte Farben: Feldinitialen

Unter einer Feldinitiale versteht man einen gemalten Buchstaben – klein oder groß – in einem Feld, das als Hintergrund und Rahmen dient. Diese schönen Initialen waren oft goldgeschmückt, wobei entweder der Buchstabe oder das Feld in Gold erstrahlen. Feldinitialen aus schlichteren Formen wurden meist als kleine, aber trotzdem prachtvolle sekundäre Initialen eingesetzt, wobei Werke wie der Astronomisch-Astrologische Codex König Wenzels zeigen, dass es dabei nicht bleiben musste.

Der Buchstabe als Labyrinth: Rankeninitialen

In vielen Manuskripten wurden Fleuronnée- oder Feldinitialen mit einer komplizierten Variante der Ornament-Initiale kombiniert: der Rankeninitiale. Diese allgemeine Bezeichnung beschreibt Ornament-Initialen mit einem dominanten Rankenschmuck, der sich entweder um den Buchstabenkörper herum entwickelt oder aber den Buchstaben selbst bildet. Mittelalterliche Buchkünstler und -künstlerinnen brachten vielfältigste Formen von Rankeninitialen hervor, deren verschlungenen Ranken teils labyrinthische Ausmaße annehmen – so etwa im Brandenburger Evangelistar und im Antiphonar von St. Peter.

Italienische Initialkunst: Weißranken-Initialen

Im Italien des 11. Jahrhunderts entwickelte sich eine spezielle Form der Rankeninitiale, die besonders in der regionalen Renaissance-Malerei sehr beliebt wurde: die Weißranken-Initiale. Hier arbeiteten die Buchkünstler und -künstlerinnen lediglich die Konturen der oft filigranen Ranken heraus und beließen die Füllung im Pergament- bzw. Papierton, so dass sie kontrastreich vor den mehrfarbig gestalteten Hintergründen hervortreten, wie Christianus Prolianus Astronomia besonders schön vor Augen führt. Die Buchstaben als solche und kleine Details des Ornaments wurden zudem häufig mit Gold illuminiert.

Die italienischen Weißrankeninitialen bestechen durch ihre reduzierte und zugleich verspielte Ästhetik

Die Auflösung des Buchstabens: Spaltleisteninitialen

Das Spiel mit dem Buchstabenkörper und verschlungenen Ranken wird von den teils sehr komplexen Spaltleisteninitialen auf die Spitze getrieben. Charakteristisch ist der gespaltene Leistenstamm (vertikaler Teil des Buchstabenkörpers), der meist ornamental oder zumindest farbig ausgefüllt ist. Oft halten Spangen, die an Schmiedewerk erinnern, die gespaltenen Teile zusammen oder binden sie gar mit einzelnen Ranken zusammen.

Dieses Prinzip ist besonders gut an der schlichten U-Initiale im Nibelungenlied und die Klage zu erkennen: die senkrechten Teile des Buchstabenkörpers sind gespalten. Die Spaltfüllungen bestehen aus Punktornamenten auf rotem Grund, während vier waagerecht angebrachte Spangen den gespaltenen Buchstabenkörper und das innere Rankenornament zusammenhalten.

In vielen Fällen weisen Spaltleisteninitialen zusätzlich zoomorphe Gestaltungselemente auf – etwa Tierköpfe als Ablaufmotiv am Ende einer Ranke – wie zum Beispiel die wunderschöne Q-Initiale im Codex Aureus Escorialensis, deren Cauda mit gleich drei Tierköpfen geschmückt ist.

Das Spiel mit dem Buchstabenkörper und verschlungenen Ranken wird von den teils sehr komplexen Spaltleisteninitialen auf die Spitze getrieben

Lebensraum Buchstabe: Rankenkletterer-Initialen

Eine besonders faszinierende und oftmals humoristische Variante der Rankeninitiale stellen die sogenannte Rankenkletterer-Initialen dar. Diese ebenfalls rankengeschmückten Majuskeln werden von tierischen und/oder menschlichen Figuren bewohnt, die rein dekorativ sind, also keinen Textbezug haben. Wie der Name schon sagt, klettern diese meist zwischen den Ranken umher, wobei man jedoch manchmal sehr genau hinsehen muss, um alle Figuren zu finden…

Tiere als Buchstaben: Zoomorphe Initialen

Unter zoomorphen Initialen versteht man solche, die mindestens partiell aus Tierkörpern gebildet werden. Dabei kann es sich auch lediglich um einen Tierkopf oder Flügel handeln. Oft bedienten sich die Buchmaler und -malerinnen zudem gerade hier gerne an den zahlreichen Legenden und Fabeln über mythische Tierwesen. An zoomorphen Initialen ist außerdem besonders interessant, dass nicht nur Buchstaben zu kleinen Bildwerken werden, sondern auch Tierkörper zu formbaren Ornamenten.

Zoomorphe Initialen zeigen häufig mythische Fabelwesen wie Drachen und Mischwesen

Die frühesten Formen dieses Initial-Typus finden sich bereits in der merowingischen Kunst des Frühmittelalters. Die Künstler und Künstlerinnen verloren aber das gesamte Mittelalter hindurch nicht das Interesse daran, Tierkörper in die Gestaltung von kunstvollen Initialen einzubinden: von einfacheren Varianten, bei denen ein Tierkörper einen Buchstaben bildet, wie etwa im Speyerer Evangelistar, bis hin zu komplizierten Kompositionen, in denen die einzelnen Tiere regelrecht gesucht werden müssen. Besonders eindrückliche Exemplare finden sich vor allem in prächtigen liturgischen Handschriften wie dem Evangeliar des Johann von Troppau, dem Brandenburger Evangelistar oder dem Evangeliar Heinrichs des Löwen, deren gestalterischer Fülle kaum Grenzen gesetzt waren.

Doch sind auch die kleineren Initialen mit subtileren zoomorphen Elementen, etwa im Rosenroman des Berthaud d’Achy und in den Cantigas de Santa Maria - Codex Rico, einen zweiten Blick wert.

Die Verschmelzung von Bild und Schrift: Historisierte Initialen

Die wohl prächtigste, anspruchsvollste und am meisten geschätzte Schöpfung der mittelalterlichen Initialkunst ist die historisierte Initiale. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Initiale und Miniatur.

Historisierte Initialen enthalten figürliche Darstellungen mit Textbezug, wobei die Buchstaben meist zum Rahmen der Bilder werden, die einzelne Figuren, aber auch komplexe Szenen zeigen können. Zusätzlich sind die Buchstaben als solche oftmals reich ornamental oder gar zoomorph gestaltet und goldgeschmückt – dem Gestaltungswillen waren hier kaum Grenzen gesetzt, so dass die Buchstaben in jeder Hinsicht zum Bild wurden!

Typischerweise sind diese Initialen als sogenannte Bildeinschluss-Initialen gestaltet. Dabei nimmt ein klar erkennbarer Buchstabenkörper als Rahmen in seinem Binnenfeld eine figürliche Darstellung auf. Das waren häufig Autorenbildnisse, aber auch Heiligenbilder, Herrscher- und Stifterdarstellungen oder auch Personifikationen.

Solche Initialen konnten aber auch ganze Szenen mit mehreren Figuren in Landschaften oder Innenräumen beherbergen, wie zum Beispiel die Göttliche Komödie di San Bernardo wunderbar zeigt.

Das Spiel von Bild und Buchstabe wurde in besonders kostbaren Handschriften oft auch so weit getrieben, dass die Initialmajuskeln als solche kaum noch zu erkennen sind und sich schier im Bild aufzulösen scheinen. So könnte man etwa im Falle der Q-Initiale im Goslarer Evangeliar zunächst meinen, ein großes Bildmedaillon vor sich zu haben, bis man gewahr wird, dass der Evangelist Lukas im Binnenfeld eines hellen runden Buchstabenkörpers sitzt. Die sogenannte Cauda, also der Fortsatz, der ein Q von einem O unterscheidet, gibt sich ebenfalls erst auf den zweiten Blick zu erkennen, da sie von einem grünen Drachen mit roten Flügeln gebildet wird, der gerade versucht, einen Menschen zu verschlingen. Eine Hilfestellung bei der Betrachtung sind die Großbuchstaben auf der rechten Seite, die nur mit einem Q am Anfang einen Sinn ergeben: QUONIAM QUIDEM – die ersten Worte des Lukasevangeliums.

Bei besonders prachtvollen historisierten Initialen verschmelzen Buchstabe, Bild und Blattgold so sehr, dass der Buchstabenkörper oft nur noch zu erahnen ist

Ähnlich verhält es sich mit der prächtigen historisierten P-Initiale in der Göttlichen Komödie des Alfons von Aragon: besonders der leuchtende Goldgrund, aber auch die wild rankenden Blätter lenken den Blick von dem recht schmalen, roten Buchstabenkörper mit filigranem weißem Ornament ab, sodass man zunächst meinen könnte, eine opulent gerahmte Miniatur vor sich zu haben.

Eine spezielle Variante der historisierten Initiale sind ornamental und teils zoomorph gestaltete Buchstaben, die von Figuren „bewohnt“ werden, die im Bezug zum Text stehen. Zwei besonders kreative und kunstvolle Beispiele hierfür finden sich im Bamberger Psalter und im Sakramentar von Metz. Während die zoomorphe Rankeninitiale Q die Standfläche für Goliath bildet, wird die T-Initiale sogar zu einem Teil der dargestellten Szene und fungiert demnach nicht nur als erster Buchstabe des Te Igitur Gebets, sondern auch als Kreuz Christi. Letzteres wird umso deutlicher, wenn der Blick nach oben wandert: die Darstellung von Sonne und Mond, personifiziert durch Sol und Luna, links und rechts über dem Querbalken gehört typischerweise zur Ikonografie der Kreuzigung Christi.

In einigen Handschriften machen historisierte Initialen den größten Teil der Bildausstattung aus

In einigen Handschriften machen historisierte Initialen sogar den größten Teil der Bildausstattung aus, was bezeugt, wie geschätzt die Initialkunst im Mittelalter, aber auch noch während der Renaissance war. Bemerkenswerte Beispiele hierfür sind etwa der Wiener Moamin mit seinen zahllosen Falknerei-Szenen in goldgeschmückten Bildeinschluss-Initialen, aber auch die kostbare Bibel des Pietro Cavallini sowie das prächtige Graduale von St. Katharinenthal. Besonders hervorzuheben ist zudem der Codex Gisle, der wahrlich über und über mit historisierten Initialen jedweder Größe ausgestattet ist, die Szenen aus dem Leben Christi und Marias zeigen.

Kalligrafische Kunst: Cadellen

Eine ganz andere Form von Initialen entwickelte sich im ausgehenden Mittelalter: die Cadellen. Der Begriff bezeichnet Großbuchstaben, meist Initialen, die aus parallellaufenden und sich teilweise durchkreuzenden Schäften und Bögen raumgreifend kalligrafisch gestaltet wurden. Ein besonderes Schmuckstück dieses Buchstaben-Typus stellt das Tanzbüchlein der Margarete von Österreich dar. Hier heben sich auf fast jeder Seite wunderschöne Cadellen in leuchtender Gold- und Silbertinte vom purpurnen Pergament ab. Im Kalligraphiebuch und im Tiroler Fischereibuch Kaiser Maximilians I. wird das Prinzip der sich kunstvoll kreuzenden Linien exzessiv weiterentwickelt.

Initialen in frühen Druckwerken

Mit den ersten gedruckten Büchern (Inkunabeln) kamen auch Holzschnitt- und später Kupferstich-Initialen auf, die meist an ornamental gestaltete Feldinitialen erinnern. In besonders kostbaren Büchern, wie etwa einigen erhaltenen Gutenberg-Bibeln wurden jedoch beim Druck Freiräume gelassen, die später ganz nach dem Geschmack und dem Budget des Auftraggebers oder der Auftraggeberin händisch mit gemalten Zierinitialen ausgefüllt werden konnten. Dieser Umstand zeigt, wie sehr Initialen am Ende des Mittelalters zu Buchtexten gehörten und aus diesen kaum wegzudenken waren – als Ordnungs- sowie als Gestaltungsprinzip.