"Faksimile" - Fachliche Definition, Begriffserklärung und Erläuterungen anhand ausgewählter Beispiele

Zum Begriff „Faksimile“ gibt es ganz unterschiedliche, mitunter auch irreführende Definitionen. Selbst Wikipedia (aktualisiert, Stand März 2022) gelingt es nicht, eine fachlich richtige, vollständige oder zumindest eindeutige Definition zu diesem Begriff zu geben, von dort zu findenden veralteten Angaben zur Herstellung („Stichdruckverfahren“) ganz zu schweigen. Diese Unklarheiten, zuweilen sogar Unwahrheiten, können in Diskussionen unter Fachfremden oder Laien dazu führen, dass verschiedene Formen des Faksimiles von diesen nicht als solches erkannt werden, obwohl man tatsächlich lediglich die „Güte“ oder „Qualität“ eines Faksimiles beurteilt.

Die vorliegende Arbeit soll für fachliche Aufklärung sorgen und einen tieferen Einblick in die Thematik "Faksimile" ermöglichen. Sie richtet sich sowohl an interessierte Laien und Sammler von Faksimiles als auch an Fachkollegen und sonstige Berufsgruppen (Bibliothekare, Buchwissenschaftler, Mediävisten und andere), die beruflich mit Faksimiles in Berührung kommen.

Über 75 anschauliche Beispiele von über 40 Faksimile-Verlagen aus ganz Europa, die einen Überblick über die mannigfaltigen Ausprägungen von Faksimiles geben

Zu diesem Zweck stellen wir hier eine korrekte und vollständige Definition des Begriffs „Faksimile“ bereit und erörtern die zahlreichen Ausprägungen anhand von über 75 anschaulichen Beispielen von über 40 Faksimile-Verlagen, die einen Überblick über die verschiedenen Ausprägungen in diesem Bereich erlauben. Behandelt werden sollen folgende Fragestellungen:

  • Definition: Was ist ein Faksimile?
  • Erläuterungen zur Definition: Was ist ein Faksimile?
  • Welche Formen des Faksimiles gibt es?

Bevor wir jedoch zu diesen Fragenstellungen zuwenden, möchten wir uns und unsere Expertise kurz vorstellen und unseren Blick kurz in die Geschichte der Faksimilierung historischer Handschriften richten.

Ziereis Faksimiles: International anerkannte Faksimile-Experten

Wir arbeiten seit fast zwei Jahrzehnten auf dem Gebiet der Faksimiles mittelalterlicher Handschriften und führen seit über zehn Jahren eine ausschließlich auf Faksimiles spezialisierte Fachbuchhandlung in der Altstadt von Regensburg. Als Diplom-Physiker (Univ.) und Diplom-Mathematiker (Univ.) verfügen wir nicht nur über theoretisches Fachwissen, sondern auch über einen wertvollen Erfahrungsschatz aus langjähriger beruflicher Praxis.

Ziereis Faksimiles: Ein beispiellos breiter und weltweit wohl einmaliger Überblick über nahezu alle jemals publizierten Faksimile-Werke

Mit www.ziereis-faksimiles.de betreiben wir die weltgrößte Datenbank für Faksimile-Ausgaben mit mehr als 1.600 verschiedenen Editionen von mehr als 204 europäischen und außereuropäischen Verlagen (Stand März 2022). Unsere Datenbank wird von uns ständig erweitert und gepflegt. Dies ist uns nur möglich, indem wir die überwiegende Mehrzahl an Faksimileausgaben vor Ort und im Detail überprüfen und untersuchen, was uns wiederum einen beispiellos breiten und weltweit wohl einmaligen Überblick über die publizierten Werke und damit über deren Qualität und Wertigkeit ermöglicht. Dabei umfasst unser "Erfahrungsschatz" Faksimiles aus den zurückliegenden 160 Jahren aus allen Herren Ländern, Faksimiles im Hochdruck (Buchdruck), Flachdruck (Offsetdruck) oder Lichtdruck, Faksimiles mit einfachen Ledereinbänden oder solchen mit aufwendigen Veredelungen und viele Varianten mehr.

Die Geschichte des Faksimiles

Der Grundgedanke eines Faksimiles, die Reproduktion eines historischen oder kunsthistorisch bedeutsamen Werks mit den Mitteln der modernen Drucktechnik besteht schon seit Jahrhunderten. So wurde bereits im Jahre 1642 ein Faksimile des „Vergilius vaticanus“ – Vat. Lat. 3225 hergestellt, indem mit Hilfe von Kupferstichen die Miniaturen der spätantiken Vergiliushandschrift reproduziert wurden. Gleiches erfolgte auch im Jahre 1697 als der Rechtshistoriker Heinrich Günther Thülemeyer bei Johann Friedrich Fleischer eine Kupferstichausgabe der „Goldenen Bulle“ - Cod. Vindob. 338 herausgab. Nun entspricht ein Kupferstich mit seinen monochromen Darstellungen vielleicht nicht mehr ganz unserer Vorstellung eines Faksimiles der modernen Zeit, bleibt es aber ohne Wenn und Aber laut der inhärenten Definition des Begriffs Faksimile (fac simile = mach es ähnlich) ein ebensolches.

Einen bedeutenden technischen Sprung in der Faksimilierung wertvoller Handschriften brachte ohne Zweifel das 19. Jahrhundert mit seinen einhergehenden bahnbrechenden Fortschritten bei den fotographischen Erfassungsmöglichkeiten der Originale mit sich. Aber auch die drucktechnische Weiterentwicklung der Flachdruckverfahren führt zu einer qualitativen Revolution. So wurde der Steindruck nach und nach vom Lichtdruck abgelöst, der ganz hervorragende Ergebnisse zu lies, ihn aber nicht davor bewahrte, seinerseits vom modernen Offesetdruckverfahren der Neuzeit abgelöst zu werden.

Der Sinn eines Faksimiles hat sich jedoch seit den Anfängen der Faksimilereproduktion im 17. Jahrhundert im Wesentlichen nicht verändert. Das Faksimile dient in erster Linie dazu, das einzigartige, wertvolle und oftmals fragile Original, das durch die Benutzung über die Jahrhunderte und dem nagenden Zahn der Zeit nicht selten arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, zu schützen und dessen Ausschnitte, wesentliche Teile oder in Gänze der Wissenschaft und bibliophilen Sammlern zugänglich zu machen.

Nach diesem kurzen geschichtlichen Abriss möchten wir nun zum eigentlichen Zweck dieser Arbeit kommen, nämlich die Definition des Begriffs Faksimile und dessen mannigfaltigen Ausprägungen anhand anschaulicher Beispiele aus dem Faksimilemarkt.

Definition: Was ist ein Faksimile?

Ein Faksimile ist eine Imitation, ein Nachbau oder eine Nachahmung eines oft historischen Originals, bei Büchern also zum Beispiel einer mittelalterlichen Handschrift oder eines frühen Drucks. Der Begriff Faksimile ist aus dem Lateinischen entlehnt:

Fac simile = mach es ähnlich!

Das ist bereits die allein gültige Definition: Mach es ähnlich! Alle andere Aussagen, etwa „ein Faksimile ist eine originalgetreue Nachbildung oder Reproduktion einer Vorlage“ oder „ein gutes Faksimile entspricht der Vorlage in Größe, Farbe und Erhaltungszustand“ (beides Wikipedia) sind entweder falsch oder Ausführungen nicht zur Natur des Faksimiles, sondern allenfalls zu seiner Qualität. Aber die Übersetzung aus dem Lateinischen definiert auch, was ein Faksimile nicht ist, nämlich das exakte Original. Denn dieses kann es naturgemäß nur ein einziges Mal geben. Selbst wenn man also ein „in Serie“ hergestelltes Original heranzieht, etwa ein in limitierter Stückzahl herausgegebenes, vom Künstler selbst hergestelltes Kunstwerk wie beispielsweise eine Bronzeskulptur, werden diese untereinander immer – mehr oder weniger – voneinander abweichen, stellen also streng genommen Faksimiles des Originals oder eben selbst Originale dar.

Da „ähnlich“, also der bei der Definition entscheidende Begriff, natürlich persönlichen, zeitlichen und technischen Veränderungen und Entwicklungen unterliegt, kurz im hohen Maße subjektiv ist, wollen wir dieser Definition weitere Erläuterungen und veranschaulichende Beispiele zur Seite stellen und damit für Aufklärung sorgen.

Erläuterungen zur Definition: Was ist ein Faksimile?

Wie bereits erläutert, bedarf die obige Definition eines Faksimiles (= „mach es ähnlich!) eigentlich keiner Erläuterung. Da jedoch oft die Rede ist von der Wiedergabe der originalen Größe oder des Erhaltungszustands, soll noch einmal betont sein, das solche Eigenschaften allenfalls zur Beurteilung der Güte herangezogen werden können, nicht jedoch dazu, einem Faksimile wegen dem Fehlem dieser oder jener Eigenschaft, die Zugehörigkeit zu dieser Klasse abzusprechen. Deutlich gemacht werden soll das mit den beiden wohl extremsten Beispielen an den jeweiligen Rändern der Definition – beides sehr wohl Faksimiles, jedoch von ganz unterschiedlicher Qualität:

Das wohl „beste“ Faksimile einer mittelalterlichen Prachthandschrift wäre eine täuschend echte Abschrift derselben durch den Künstler selbst, und zwar unmittelbar nach deren Herstellung. Denn dann wäre die Frage etwa nach der Materialität des Faksimiles diskussionsfrei abgehandelt. Da mittelalterliche Klöster und Adlige ihre Handschriften zuweilen tatsächlich zum Zwecke der Vervielfältigung verliehen haben, gibt es in der Tat solche „historischen“ Faksimiles. Dabei zu nennen wäre etwa der Splendor Solis, ein alchemistisches Traktat des 15. Jahrhunderts, dessen Urhandschrift in Franken entstand und in der Zeit mehrfach kopiert wurde. Diese Kopien oder Faksimiles stellen heute natürlich eigenständige Originale dar, die etwa im Kupferstichkabinett in Berlin, in der British Library in London oder in der Bibliothèque national de France in Paris aufbewahrt werden und ihrerseits faksimiliert wurden. Es handelt sich dabei also um in Größe, Umfang, Materialität etc. praktisch perfekte Nachahmungen oder Faksimiles der Originalhandschrift.

Das andere Extrem eines Faksimiles, also sozusagen ein besonders „schlechtes“ Faksimile, ist der Ausdruck eines Schwarz-Weiß-Digitalisats, den wir beim International Medieval Congress in Leeds mit Frau Professor Lähnemann (University of Oxford) gebunden und hergestellt haben. Da aber auch hier die Originalhandschrift „ähnlich“ wiedergegeben wird, handelt es sich auch dabei um ein Faksimile, auch wenn die Herstellung nur fünfzehn Minuten in Anspruch genommen und der Materialaufwand nur wenige Cents betragen hat.

Von diesen beiden unrealistisch extremen Formen eines Faksimiles abgesehen, gibt es tatsächlich eine ganze Reihe von modernen Faksimiles, deren Ausprägungen und Unterschiede hier dargestellt werden sollen.

Welche Formen des Faksimiles gibt es?

Die unterschiedlichen Arten von Faksimiles sollen im Folgenden anhand unterschiedlicher Eigenschaften und Kriterien erläutert werden, wobei die Reihenfolge, nach der diese hier aufgeführt werden, vom Augenfälligen zum Detail führen sollen. Diese Eigenschaften und Kriterien sind im Einzelnen:

  • I) Größe
  • II) Umfang des Faksimiles
  • III) Farbwiedergabe
  • IV) Einband
  • V) Bindung
  • VI) Bedruckstoff
  • VII) Beschnitt
  • VIII) Details wie Fehlstellen oder Nähte
  • IX) Druckqualität
  • X) Veredelungstechniken zur Reproduktion von Gold- und Silberpartien
  • XI) Limitierung
  • XII) Faksimiles von getrennt aufbewahrten Originalen
  • XIII) Faksimiles von Faksimiles

I) Größe

Die vielleicht auffallendste Eigenschaft eines Faksimiles ist die Wiedergabegröße im Vergleich zur Originalhandschrift bzw. dem Originaldruckwerk. In der Regel wird bei Faksimiles die Größe des Originals in genauer Entsprechung wiedergegeben bzw. es kommt herstellungsbedingt lediglich zu Abweichungen im Millimeterbereich. Jedoch gibt es auch Faksimiles, die das Original in der Größe mehr oder abweichend wiedergeben. Ein Beispiel für eine geringfügig kleinere Wiedergabe der Originalhandschrift ist etwa der Codex Sinaiticus (Hendrickson Publishing Group – Carol Stream, IL, (USA), 2010), der im Faksimile um 5% in der Größe reduziert wurde. Ein stärker verkleinertes Faksimile stellt jenes vom Codex Amiatinus (La Meta Editore – Florenz (Italien), 2003) dar, dessen Blattgröße im Original ca. 51 x 34 cm beträgt, aber das Faksimile eine Blattgröße von nur ca. 33,5cm x 24 cm aufweist. Während die Handhabbarkeit des Faksimiles des mit über 1.000 Seiten zählenden und etwa 50kg schweren Originals sicher eine gewisse Rolle bei der Entscheidung zur Verkleinerung gespielt hat, ist bei dem hier als letztes genannte Beispiel für ein verkleinertes Faksimile diese sicher der ausschlaggebende Punkt gewesen: Beim Atlas des Großen Kurfürsten aus dem Jahr 1664 handelt es sich um den größten jemals fertiggestellten Atlasband. Aufgeschlagen misst dieses Mammutwerk, heute aufbewahrt in der Berliner Staatsbibliothek, ca. 220 x 170 cm. Edition Leipzig – Leipzig (Deutschland) brachte 1971 zusammen mit dem Belser Verlag – Stuttgart (Deutschland) ein Faksimile heraus, das aufgeschlagen „nur“ ca. 80 x 56 cm aufweist. Das Gewicht konnte so von ca. 125kg auf 25kg reduziert werden.

Selbstverständlich sind also auch verkleinerte Reproduktionen – vorausgesetzt sie erfüllen weitere Kriterien – als Faksimiles der Originalwerke zu bezeichnen

II) Umfang

Wie schon bei der Größe gilt auch beim Umfang, dass die Mehrzahl der hergestellten Faksimile-Editionen das vollständige Original wiedergeben. Dies ist jedoch nicht bei jedem Faksimile der Fall, wenn etwa der Fokus aus Wissenschaft und Bibliophilie weniger auf zahlreichen Textseiten, sondern vielmehr auf wenige Miniaturseiten beschränkt ist. Es gibt durchaus Faksimiles, die sowohl nur einen Teil oder Abschnitt aus dem Original reproduzieren als auch Faksimiles, die sich auf die Wiedergabe der Prunk- oder Bildseiten beschränken. Beispiele für ein Faksimile, das nur einen Abschnitt aus dem Original wiedergibt, ist etwa das Faksimile der Octava Esfera, bei dem nur die Folios 1-49 faksimiliert wurden (Club Bibliófilo Versol – Madrid (Spanien), 2015). Ähnlich verhält es sich bei den Sternbildern der Antike, wo sich nur die ersten 26 Folios im Faksimile wiederfinden (Quaternio Verlag – Luzern (Schweiz), 2018). Ein drittes Beispiel für diese Art von Faksimile soll die 600 Seiten zählende Handschrift Ms. Français 2810 aus der Bibliothèque nationale de France sein, deren erster Teil (Folios 1r-96v) als Buch der Wunder von Marco Polo 1995 vom Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), herausgegeben wurde und ein weiterer Teil (Folios 141r–225v) 2017 als die Reisen des Ritters Jean de Mandeville von Müller & Schindler – Simbach am Inn, (Deutschland).

Auch für Faksimiles, die lediglich die Prunk- oder Miniaturenseiten wiedergeben, lassen sich zahlreiche Beispiele finden. So wurden bereits beim einleitend erwähnten, ersten nachweislich belegten Faksimile-Druck aus dem Jahr 1642, lediglich die Miniaturseiten reproduziert. Gleiches erfolgte zahlreich im Verlauf der Faksimile-Geschichte, etwa im Jahre 1930, als die Österreichische Staatsdruckerei Wien die Miniaturenseiten des Schwarzen Gebetbuchs, gebunden in einer Nachbildung des originalen Träneneinbands, herausgegeben hat. Zwei Jahre später veröffentlichte C. Weckesser – Brüssel (Belgien) die Miniaturenseiten des Mayer van den Bergh Breviers als Faksimile. Aber natürlich gibt es auch sehr viel jüngere Beispiele, etwa die 20 Miniaturenseiten der Bibel des Patricius Leo (im Original über 1.100 Seiten), herausgebracht vom Belser Verlag – Stuttgart (Deutschland), 1988 oder die Prunkseiten aus den Très Riches Heures du Duc de Berry, die 2011 von von Patrimonio Ediciones – Valencia (Spanien) als Faksimile-Band publiziert wurden.

Die hier erfolgte, bei weitem nicht erschöpfende, Aufzählung der obigen Beispiele macht deutlich:

Ein Faksimile muss nicht das gesamte Original vollumfänglich wiedergeben, um als solches bezeichnet werden zu können

III) Farbwiedergabe

Ob ein Faksimile ein Original in Farbe, teilweise in Farbe oder ganz in schwarz-weiß wiedergibt, gehört sicher ebenfalls zu den Merkmalen, die einem Betrachter auf dem ersten Blick auffallen. Auch hier gilt, dass es sich bei der Mehrzahl der auf den Markt gebrachten Editionen um farbige Faksimiles handelt. Viele davon haben sogar den Anspruch, das Original gerade in der Farbigkeit so exakt wie möglich wiederzugeben. Jedoch gibt es auch eine Reihe von Faksimiles, die etwa nur die Prunkseiten in Farbe, die restlichen Seiten aber in schwarz-weiß reproduzieren. Zu diesen zählen etwa das Faksimile zum Lorscher Evangeliar, 1967 herausgebracht vom Prestel Verlag – München (Deutschland) oder das des Ambraser Heldenbuchs, das von den 486 Seiten 24 in Farbe zeigt (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt – Graz (Österreich), 1973). Gänzlich in schwarz-weiß wiedergegeben ist zum Beispiel das Faksimile des Leningrad Brede (Rosenkilde and Bagger – Kopenhagen (Dänemark), 1952) oder die Velislai Biblia Picta (Sumptibus Pragopress – Prag, (Tschechische Republik), 1970).

Ein Faksimile als solches muss nicht das Original ganz oder teilweise in Farbe wiedergeben

Ein Faksimile als solches muss also keineswegs das Original ganz oder teilweise in Farbe wiedergeben, von der Genauigkeit der Farbwiedergabe im Vergleich zum Original gänzlich zu schweigen, auch wenn eine dahingehende Exaktheit natürlich wünschenswert ist.

IV) Einband

Bei den Einbänden, welche die Verlage für ihre Faksimiles wählen, wird die Vielfalt ungleich größer. Zunächst einmal zu nennen wären Faksimiles, die den Originaleinband mehr oder weniger genau nachbilden. Dies wird in der Regel umgesetzt, wenn die Originaleinbände relativ schlicht gehalten sind. Hierzu zählen etwa die Faksimiles der Très Riches Heures du Duc de Berry (Franco Cosimo Panini Editore – Modena (Italien), 2011), des Salzburger Perikopenbuchs in der Vorzugsausgabe (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1997) oder die Bible moralisée aus Neapel (M. Moleiro Editor – Barcelona (Spanien), 2009). Wohlgemerkt: das Design des Einbands wird hier zwar nachgebildet, jedoch nicht die altersbedingten Gebrauchs- und Lagerspuren. Praktisch alle vorhandenen Faksimile-Editionen werden also mit Einbänden versehen, die neu und unberührt wirken und nicht deren heutiger Erhaltungszustand.

Die nächste zu nennende Ausprägung unter den Einbandvarianten sind Einbände, die im Faksimile dem Original nachempfunden sind. So fehlen im Pariser Dekameron (Scriptorium – Valencia (Spanien), 2009) etwa die Metallbeschläge. Beim Perikopenbuch Heinrichs II. (Müller & Schindler – Simbach am Inn (Deutschland), 1995) hat man sich dagegen dazu entschieden, das Faksimile in schlichter, grüner Rohseide zu binden, da der Prunkdeckel des um die vorherige Jahrtausendwende entstandenen Originals mit seinen aufwendigen Elfenbeinschnitzereien, Edelsteinen und Emailarbeiten im Faksimile kaum kostendeckend reproduziert werden könnte. Eine Nachbildung der einfacheren Metallarbeit des Rückendeckels des Originals hat man dafür im Faksimile auf dem Vorderdeckel angebracht.

Dann gibt es Faksimiles, die zwar mit dem des Originals nachgebildeten oder nachempfundenen Einbändenausgestattet wurden, die jedoch zu Schwesternhandschriften oder zumindest noch von Handschriften aus der Zeit oder der Bibliothek stammen. Zu nennen wären hier etwa das Mirandola Stundenbuch, dessen Originaleinband verloren gegangen ist und dessen Faksimile-Edition (Coron Verlag – Gütersloh (Deutschland), 1995) deshalb in einer farblich abgewandelten Version des Einbands des Stundenbuchs Lorenzos de‘ Medici ausgeführt wurde, die etwa zur selben Zeit und in derselben Region entstand. Ähnlich verhält es sich beim Faksimile der 100 Bilder der Weisheit (Müller & Schindler – Simbach am Inn (Deutschland), 2009), das in blauer Seide gebunden wurde . Das Original war zwar in einem solchen gebunden, wie Byvanck 1924 berichtet, ist jedoch verloren gegangen und wurde 1973 durch einen modernen Ledereinband ersetzt. Bei der 2-bändigen Gutenberg Bibel des Kupferstichkabinetts Berlin hat man sich für die Faksimile-Edition (Idion Verlag – München (Deutschland), 1977–1979) gar dazu entschieden, diese mit dem Einband der Fuldaer Gutenberg-Bibel auszustatten, obwohl es eine solche Kombination aus Berliner Innenteil und Fuldaer Einband so natürlich nicht im Original gibt.

Der Großteil der erhältlichen Faksimileausgaben ist jedoch mit einem mehr oder weniger zum möglichen Originaleinband passenden Fantasieeinband ausgestattet. Zu nennen wären hier nur beispielhaft der braune Ledereinband des Goldenen Hildesheimer Kalendarium von Müller & Schindler – Simbach am Inn (Deutschland), 2003 (im Original stark brochiert), der rote Seideneinband zur Bamberger Apokalypse vom Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 2001 (das Original erhielt 1960 einen modernen Wildledereinband als Ersatz für den während der Säkularisation verloren gegangenen Prachteinband) oder der Einband zu den Grandes Heures du Duc de Berry, der im Faksimile (Patrimonio Ediciones – Valencia (Spanien), 2013) mit lilafarbenem Samt, Beschlägen und Buchschließen herausgebracht wurde, während das Original in schlichtem dunklen Leder gebunden ist.

Ein wichtiger abschließender Aspekt zu Einbänden bei Faksimileeditionen darf nicht vergessen werden: nicht selten veröffentlicht ein Verlag eine Edition mit unterschiedlichen Einbandvarianten und vermarktet diese etwa als Luxus- und Normal- oder Bibliotheksausgaben. Beispiele sind etwa das Reichenauer Perikopenbuch, dessen Faksimile Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 2009) einmal mit Elfenbeinreplikat im Holzdeckel mit offenem Rücken, einmal in rotem Leder ohne Elfenbeinreplikat herkömmlich gebunden ist. Das Faksimile des Blumenstundenbuchs von Simon Bening vom Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1991 ist einmal mit und einmal ohne Prachtschließe, das Faksimile des Goldenen Evangelienbuchs von Echternach, das Müller & Schindler – Frankfurt Deutschland), 1982 zusammen mit dem Coron Verlag – Gütersloh (Deutschland) einmal in grauem Wildleder mit Replikat des Prunkdeckels und einmal in grüner Rohseide und mit Metallbeschlägen herausgebracht hat. Gerade wenn verschiedene Verlage, zumeist im zeitlichen Abstand eine Originalhandschrift erneut als Faksimile publizieren, unterscheiden sich die Einbände dieser Editionen doch oft erheblich voneinander, wie es etwa beim Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. der Fall ist: Das Faksimile, welches 1969 von der Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), herausgebracht wurde, ist in einem hellbraunen Wildledereinband ohne Buchschließen gebunden, während die Edition von Testimonio Compañía Editorial – Madrid (Spanien) aus dem Jahr 2004 mit einem dunklen, geprägten Ledereinband mit Buchschließen versehen ist.

Wünschenswert, jedoch oft nicht umgesetzbar: Ein dem Original getreu nachgebildeter Einband

Abschließend lässt sich also sagen, dass ein dem Original getreu nachgebildeter Einband zwar sicher wünschenswert ist, jedoch kann dieser Wunsch aus praktischen, wirtschaftlichen oder geschichtlich gegebenen Gründen oft nicht umgesetzt werden.

V) Bindung

Zum Einband gehört die Art der Bindung, denn seit jeher gibt es unterschiedliche Methoden, ein Buch zu binden. Auf die am häufigsten im Faksimilebereich angewandten Techniken soll hier eingegangen werden.

Zunächst zu nennen ist die aufwendigste und hochwertigste Bindemethode, die Handbindung. Hierbei werden die einzelnen Lagen (nicht selten in der exakten Lagenfolge des Originals) zunächst von Hand zusammengenäht, meistens zu Viererlagen oder sogenannten Quaternionen. Diese werden wiederum miteinander vernäht und verklebt, so dass der Buchblock entsteht. Mithilfe echter Bünde wird der Buchblock dann mit den aus Holzplatten bestehenden Buchdeckeln verleimt und verpflockt, die abschließend mit Leder oder Samt überzogen werden. Dieser Prozess erfordert eine Vielzahl an Handgriffen und Arbeitsschritten und ist daher sehr Zeit- und somit auch sehr kostenintensiv. Beispiele für solche Meistereinbände im Faksimilebereich sind etwa das Faksimile des Evangeliars Heinrichs des Löwen (Insel Verlag – Frankfurt Deutschland), 1988), das später einfacher gebunden nochmals von Bibliotheca Rara – Münster (Deutschland) herausgegeben wurde, der Gutenberg-Bibel Berliner Codex (Idion Verlag – München (Deutschland), 1977–1979) oder des Graduales von St. Katharinental (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1983). Eine Variante dieser Bindemethode stellt die Bindung mit offenen Rücken dar, wie man sie zum Beispiel bei den Faksimiles des Reichenauer Perikopenbuchs oder des Psalterium Sancti Ruperti (beides Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich)) findet.

Bei den meisten heute hergestellten Faksimiles greift man auf die Handbindung mit sogenannten falschen Bünden zurück, bei der die Bünde nur optisch aufgesetzt sind, diese aber keine weitere buchbinderische Funktion wahrnehmen. Beispiele hierfür sind etwa das Stundenbuch aus Besançon (Orbis Mediaevalis – Madrid (Spanien), 2020) oder das Notitia Dignitatum von Peronet Lamy (Istituto dell'Enciclopedia Italiana - Treccani – Rom (Italien), 2014).

Eine gewisse Reduktion im Arbeitsaufwand kann erzielt werden, wenn auf eine maschinelle Fadenheftung zurückgegriffen wird. Zwar muss auch hier das Einbinden der Buchdeckel von Hand erfolgen, aber die Arbeitsschritte zur Herstellung des Buchblocks lassen sich hier vereinfachen. Der Rosenkranz der Weltgeschichte - Subḥat al-aḫbār von der Akademischen Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1981 oder der Hitda-Codex vom Propyläen Verlag – Frankfurt/Berlin (Deutschland), 1968 sind etwa mit maschineller Fadenheftung hergestellt.

Abschließend soll auch auf die Materialität des Bezugstoffs eingegangen werden, nämlich am Beispiel des Leders: Bekanntermaßen ist Leder ein Naturprodukt, dessen Güte von einer Vielzahl von Eigenschaften beeinflusst wird (Art, Alter oder Geschlecht der Tiere, deren Haltung, Ernährung etc.). Ähnlich vielfältig sind auch die Kriterien, anhand derer man die Qualität des verwendeten Leders bemessen kann (Oberleder, Spaltleder, Dicke, Narbung, Färbung etc.). Selbstredend werden im Faksimilebereich praktisch alle Arten von Leder eingesetzt, bis hin zum sogenannten Kunstleder, bei der die Ledereigenschaften lediglich nachgeahmt werden. Gleiches gilt im gleichen Maße für alle anderen Arten von Bezugstoff wie Samt, Seide oder Velours.

 

VI) Bedruckstoff

Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, als Gutenberg seine Buchpresse mit beweglichen Lettern und seine extra dafür entwickelte Tinte zum Erfolg führte, gab es praktisch kaum Bücher, die auf Papier geschrieben waren. Und noch hundert Jahre später war bei Prachtausgaben der Beschreibstoff der Wahl oft noch immer Pergament, also bearbeitete Tierhaut. Damals wie heute ist Pergament ein sehr kostspieliges Material. Zu den hohen Grundkosten von Pergament kommt bei der Faksimileproduktion zusätzlich der hohe Ausschuss beim Druck: Zum einen ist Pergament als Naturstoff schwer verarbeitbar und zum anderen ist das Druckergebnis schlecht prognostizierbar und wiederholbar, soll doch bei einem hochwertigen Faksimile eine gewisse Farbtreue zum Original erreicht bzw. eingehalten werden. Aus diesen Gründen sind von den ca. 2.000 jemals herausgegebenen Faksimile-Editionen nur etwa 10 auf echtem Pergament gedruckt. Zu dieser seltenen Gattung gehören etwa die Faksimiles der Kreuzritterbibel Ludwigs des Heiligen von 2013 und des Lebens Christi von 2005 (beide Scriptorium – Valencia (Spanien)), das auch 1998 als Faksimile auf Papier von Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz) herausgebracht wurde oder des Me’ah Berakhot von 1994 und der Schriftrollen vom Toten Meer von 2015, beide Facsimile Editions Ltd. – London (Großbritannien).

Bis auf diese wenigen Pergamentausgaben sind also alle Faksimileeditionen auf Papier gedruckt, auch wenn praktisch alle Originalhandschriften auf Pergament geschrieben wurden. Papier ist jedoch nicht gleich Papier, es gibt vielmehr gewaltige Unterschiede bei Papierqualitäten. Selbst das „einfachste“ oder „günstigste“ Papier, das bei Faksimiles eingesetzt wird, darf also nicht mit Papieren gleichgesetzt werden, die im Büroalltag Verwendung finden. Dem Pergament am nächsten kommen Spezialpapiere wie etwa Pergamenata® oder Pergamena®, die speziell dafür entwickelt wurden, um Pergament im Verhalten und in der Haptik nachzubilden, die aber dennoch ein hervorragendes und in gewissen Grenzen steuerbares Druckverhalten aufweisen. Zwar sind diese Papiere schon von Haus aus aufwendig behandelt, aber nicht selten kommen dazu noch weitere Bearbeitungsschritte, etwa um das hygroskopische Verhalten von Pergament, also dessen Aufwellung durch die Einwirkung von Luftfeuchtigkeit, nachzubilden. Beispiele für Faksimiles mit Verwendung solcher aufwendig behandelten Spezialpapiere sind etwa das Faksimile des Rohan Stundenbuchs (AyN Ediciones – Madrid (Spanien), 2006), des Voynich-Manuskripts (Siloé, arte y bibliofilia – Burgos (Spanien), 2018) oder das Opus Magnus des Claudius Ptolemäus (PIAF – Madrid (Spanien), 2021).

DIe überwiegende Mehrzahl der Faksimile-Ausgaben ist auf hoch- oder sogar höchstwertigen und zusätzlich speziell behandelten Spezialpapieren gedruckt

Wie bereits erwähnt sind aber auch Faksimiles, bei denen etwa nicht versucht wurde, die pergamentähnliche Wellung nachzuahmen, nicht auf industriellem Massenpapier gedruckt. Oft muss – schon um das gewünschte Druckergebnis zu erzielen – ein hochwertiges Offset-Druckpapier gewählt werden, das zusätzlich bei der Grammatur (= das spezifische Gewicht) der des Pergaments nahekommt. Die überwiegende Mehrheit der hergestellten Faksimileeditionen sind also auf einem solchen Papier gedruckt, etwa das Faksimile des Königsgebetbuchs für Otto III. (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 2008), des Parma-Psalters (Facsimile Editions Ltd. – London (Großbritannien), 1996) oder des Hesler-Apokalypse (Orbis Pictus – Pelplin (Polen), 2013). Lediglich bei wenigen Faksimiles, etwa dem Faksimile der Sarajevo-Haggadah (Sarajevo Svjetlost – Sarajevo (Bosnien und Herzegowina), 1983 ), kommen industriell verwendete Papiersorten zum Einsatz.

Es kann also festgehalten werden, dass – abgesehen von einem verschwindend geringen Teil von Pergament-Editionen praktisch alle Faksimiles auf hoch- oder sogar höchstwertigen und zusätzlich speziell behandelten Spezialpapieren gedruckt sind.

VII) Beschnitt

Die am wenigsten aufwendige Art der Wiedergabe einer Originalhandschrift oder eines frühen Drucks ist das Aufdrucken der Seiten auf Papier ohne Berücksichtigung des originalen Randbeschnitts. Wie man etwa am Beispiel des Faksimiles des Codex Dresdensis (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1975), des Münchner Serbischen Psalters (Reichert Verlag – Wiesbaden (Deutschland), 1983) oder der Ferrell-Vogüé Machaut Handschrift (DIAMM – London (Großbritannien), 2014) erkennen kann, bleibt dabei ein unbedruckter, weißer Rand, wie er im Original natürlich nicht zu sehen ist.

Eine bessere Nähe zum Original wird bei Faksimiles erreicht, bei denen diese weißen Ränder abgeschnitten wurden. Da nicht wenige Originalwerke keinen geraden Beschnitt aufweisen, - die meisten Bücher wurden erst Jahrhunderte nach deren Entstehung auf diese Weise beschnitten, etwa als ein neuer Eigentümer für einige Konformität mit anderen Werken seiner Bibliothek sorgen wollte – bleiben so noch die Stellen weiß, die im Original eben nicht gerade verlaufen. Ein Beispiel für eine solche Ausführung ist etwa das Faksimile des Codex Dante Alighieri - Göttliche Komödie - Codex Filippino (Istituto dell'Enciclopedia Italiana – Treccani – Rom (Italien), 2001).

Die Faksimiles von Rudolf von Ems: Weltchronik – Der Stricker: Karl der Große (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1982), vom Buch der Prophezeiungen (Testimonio Compañía Editorial – Madrid (Spanien), 1984) oder vom Buch der geheimen Offenbarung (Imago – Rimini (Italien), 2021) beispielsweise sind dagegen wie das Original und unregelmäßig beschnitten. Natürlich sehr wünschenswert, aber leider ein äußerst aufwendiger, weil individueller Prozess. Bei Faksimiles des Beatus von Liébana - Codex von Tábara (Testimonio Compañía Editorial – Madrid (Spanien), 2003) oder der Apokalypse von Toulouse (PIAF – Madrid (Spanien), 2018) zum Beispiel wurden wie im Original auch die stark beschnittenen bzw. abgetrennten Restseiten entsprechend nachgebildet, was gerade beim Binden für Mehraufwand sorgt.

VIII) Details wie Fehlstellen oder Nähte

Schwitzlöcher im Original, so genannt, weil sie zur Pergamentherstellung beim Abbrennen des Fells entstehen, finden sich meist nicht am Rand einer Seite, sondern innen. Diese werden etwa in Faksimiles Cantigas de Santa Maria - Codex Rico (Edilan – Madrid (Spanien, 1979) oder des Wiener Moamin (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 2017) oft nicht ausgeschnitten bzw. ausgestanzt, da dies durch speziell anzufertigende Stanzformen erfolgt, die entsprechend kostspielig in der Herstellung und aufwendig in der Anwendung sind. Erstrebenswert und auch möglich ist diese Nachbearbeitung allerdings, wie etwa die Faksimiles vom Beatus von Liébana - Codex von Saint-Sever (Patrimonio Ediciones – Valencia (Spanien), 2012) oder des Buchs der Welt: Die sächsische Weltchronik (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1996) zeigen. Hier wurde jede Fehlstelle exakt dem Original entsprechend bearbeitet.

Zwei besonders auffällige Beispiele sollen zeigen, was hier mittlerweile möglich ist: Das Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. wurde einmal 1969 von der Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), einmal 2004 von Testimonio Compañía Editorial – Madrid (Spanien) faksimiliert. Gerade die Titelseite dieser Handschrift aus dem 13. Jahrhundert ist stark beschädigt und weist demzufolge große Fehlstellen auf. Beim erstgenannten Faksimile hat man sich für einen einfachen, unbeschnittenen Druck auf Papier entschieden, bei der zweitgenannten Ausgabe für den aufwendigen Originalbeschnitt. Die zahlreichen Löcher in den Seiten der Wiener Genesis wurden bei der Faksimileausgabe des Quaternio Verlag Luzern – Luzern (Schweiz), 2019) mit einem Laserverfahren verwirklicht, während das Faksimile des Insel Verlag – Frankfurt Deutschland), 1980 die Löcher nicht reproduzierte.

Ein weiteres Detail stellen Nähte dar. Pergament, also in gewisser Weise Leder, ist von Natur aus sehr robust und strapazierfähig. Reißt es dennoch, kann man den Riss mit Nadel und Zwirn vernähen, um so einem weiteren Einreißen vorzubeugen. Diese Nähte werden in den meisten Faksimileausgaben lediglich optisch reproduziert, etwa im Faksimile des Willehalm - Wolfram von Eschenbach (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1974) oder des bereits erwähnten Buchs der Welt: Die sächsische Weltchronik (Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 1996). Im Faksimile des Herbolarium et Materia Medica (AyN Ediciones – Madrid (Spanien), 2007) dagegen sind sogar diese Nähte von Hand nach mit Nadel und Zwirn ausgeführt. Denselben hohen Aufwand hat man etwa bei der Apokalypse von Valenciennes (Orbis Mediaevalis – Madrid (Spanien), 2009) betrieben, was natürlich nochmals zur Originalnähe beiträgt

Ein letztes Detail, das ebenfalls zu diesem Aspekt beiträgt, ist die Nachahmung von Vorsatz-, Besitz- oder Bibliotheksvermerken, die sich nicht selten in mittelalterlichen Codizes finden. Diese Vermerke sind in Faksimileausgaben häufig lediglich drucktechnisch nachgebildet, wie es etwa in den Faksimiles des Gebetbuches für Kardinal Albrecht von Brandenburg (Bibliotheca Rara – Münster (Deutschland), 2008) oder des Stephan Lochner Gebetbuch von 1451 (Coron Verlag – Gütersloh (Deutschland), 1989) umgesetzt wurde. Es gibt jedoch auch Faksimileeditionen, bei denen diese Vermerke, auf separatem Papier gedruckt, einzeln von Hand an die entsprechende Stelle aufgeklebt wurden. Diesen zusätzlichen Detailgrad kann man zum Beispiel bei den Faksimiles der Apokalypse und Leben des Heiligen Johannes (M. Moleiro Editor – Barcelona (Spanien), 2016), der Geschichte der Stadt Troja (PIAF – Madrid (Spanien), 2017) oder Fibel der Claude de France (Quaternio Verlag Luzern – Luzern (Schweiz), 2012) beobachten.

Die physische Nachbildung von Fehlstellen, Beschädigungen, Nähten oder Vermerkzetteln ist zwar äußerst wünschenswert, aber bei Weitem nicht in jedem Faksimile – selbst nicht in jedem hochpreisigen – zu finden

Wie wir gesehen haben, ist ein unregelmäßiger Beschnitt der Seiten, die physische Nachbildung von Löchern, Beschädigungen, Nähten oder Vermerkzetteln zwar äußerst wünschenswert, aber bei Weitem nicht in jedem Faksimile – selbst nicht in jedem hochpreisigen – zu finden. Die Machbarkeit, der dafür benötige Aufwand und die damit verbundenen Kosten sind in jedem einzelnen Fall zu prüfen und sorgfältig abzuwägen.

IX) Druckqualität

Im Mittelalter wurden die Handschriften bekanntlich mit Pinsel und Feder geschaffen. Das Ergebnis waren ein Schriftbild und Miniaturen ohne jegliche Druckpunkte. Da Faksimile-Ausgaben nicht per Hand gemalt bzw. geschrieben werden, sondern mit Hilfe von Drucktechnik erzeugt werden, sind hierbei Druckpunkte unvermeidlich.

Hinsichtlich der Druckqualität gibt es aufgrund der zahlreichen Druckmethoden (noch dazu über einen sehr langen Entwicklungszeitraum) auch bei Faksimiledrucken deutliche Unterschiede. Die weite Spreizung bei der Druckqualität im Faksimilebereich soll hier nur anhand weniger Beispiele verdeutlicht werden.

Die meisten der modernen Faksimiles werden im Offset-Druckverfahren hergestellt. Auch wenn diese fortschriftliche Drucktechnik der des anfänglichen Kupferstichs aus dem 17. Jahrhundert bei weitem überlegen ist, gibt es auch hier deutliche und auch für den Laien sichtbare Qualitätsunterschiede. So wurde beispielsweise das Faksimile des Codex Germanicus (Helikon – Budapest (Ungarn), 1993) mit einem sehr grobem und statischen Druckraster gedruckt, das schon mit bloßem Auge einzelne Druckpunkte erkennen lässt. Ein deutlich besseres Ergebnis wird erzielt, wenn die Rastergröße deutlich verringert wird, so dass man Druckpunkt nur noch bei ganz geringem Betrachtungsabstand erkennen kann, so wie dies beim Faksimile des Rothschild-Gebetbuch (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1979) der Fall ist. Noch bessere Ergebnisse werden erzielt, wenn man auf extrem feine Raster zurückgreift, wie beim Faksimile des Farnese Lektionars (Franco Cosimo Panini Editore – Modena (Italien), 2008), das es dem menschlichen Auge nicht mehr erlaubt, Druckpunkte aufzulösen. Die wohl ausgefeilteste, aber auch technisch anspruchsvollste, Druckmethode im Offsetdruckbereich ist das stochastische oder amplituden-modellierte Verfahren. Dieses liefert exzellente Druckergebnisse und wird in der Regel nur im Faksimile-Bereich eingesetzt. Hierbei werden die Druckpunkte nicht statisch im Raster, sondern „zufällig“ (stochastisch) aufgebracht, wodurch es dem menschlichen Auge selbst bei Vergrößerung nicht mehr möglich ist, Druckpunkte zu erkennen. Ein Beispiel, bei dem stochastisch gedruckt wurde ist das Faksimile des Perikopenbuch Heinrichs II. (Müller & Schindler – Simbach am Inn (Deutschland), 1995).

Nicht unerwähnt bleiben soll der rasterlose Lichtdruck, der jedoch bereits in den späten 70/80iger Jahren vom modernen Offsetdruck abgelöst wurde und wegen des hohen Aufwands und des komplizierten und anfälligen Verfahrens heute praktisch nicht mehr angewandt wird. Beispiele für Lichtdruck-Faksimileausgaben des Schwarzen Gebetbuchs (Insel Verlag – Frankfurt (Deutschland), 1982) oder der Lothringischen Apokalypse (Edition Leipzig – Leipzig (Deutschland), 1982).

X) Veredelungstechniken zur Reproduktion von Gold- und Silberpartien

Sehr viele mittelalterliche Handschriften weisen Gold- und Silberpartien in der Schrift oder in den Miniaturen auf. Diese wurden entweder durch sogenanntes Pinsel- oder Muschelgold oder durch den Einsatz von Blattgold ausgeführt. Die Reproduktion dieser Partien wird bei Faksimileausgaben unterschiedlich umgesetzt.

Die einfachste Methode ist ein einfacher Druck der Farbtöne Gelb als Goldersatz (gleiches gilt hier und im nachfolgendem für die Reproduktion von Silberpartien), wie es etwa bei der Musik für Heinrich VIII. - Königliches Chorbuch (The Folio Society – London (Großbritannien), 2009) oder dem Hildegard-Gebetbuch (Reichert Verlag – Wiesbaden (Deutschland), 1982) praktiziert wurde.

Wesentlich aufwendiger ist die Wiedergabe der unterschiedlichen Goldpartien mit spezieller Goldtinte - Beispiele hierfür wären die Faksimiles des Buchs vom liebentbrannten Herzen (Editiones Reales Sitios S. L. – Madrid (Spanien), 2007) oder des Evangeliar des Charles d’Orléans, Graf von Angoulême (CM Editores – Salamanca (Spanien), 2012) - oder speziellen Goldfolien für die Reproduktion von Blattgoldflächen des Originals wie in den Faksimiles des Codex Squarcialupi (Giunti Editore – Florenz (Italien), 1992) oder der Christianus Prolianus Astronomia (Imago – Castel Guelfo (Italien), 2019). Hierbei variiert der Anteil von Echtgold bzw. Echtgoldpartikeln, wobei es auch wenige Ausgaben gibt, bei denen 23kt-Blattgold zum Einsatz kam wie bei den Faksimiles des Buchs der Bilder von Pacino de Bonaguida (Müller & Schindler – Simbach am Inn (Deutschland), 2015) oder der Darmstädter Pessach-Haggadah - Codex Orientalis 8 (Propyläen Verlag – Darmstadt (Deutschland), 1971/1982). Manche Verlage unterscheiden auch innerhalb einer Gesamtauflage zwischen herkömmlichen Druckgold und der Verwendung von Echtgold wie etwa ADEVA bei der Bibel König Ludwigs des Heiligen (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1995) oder der Vita des heiligen Wenzel  (Akademische Druck- u. Verlagsanstalt (ADEVA) – Graz (Österreich), 1995).

Da das Schriftbild und die Miniaturen der mittelalterlichen Originale materialbedingt erhaben ausgeführt waren, wird auch im Faksimile-Bereich in seltenen Fällen versucht, diese Erhabenheit wiederzugeben. Gelungen ist dies etwa im Gero-Codex (Imago – Rimini (Italien), 2021) oder bei der eben bereits erwähnten Darmstädter Pessach-Haggadah - Codex Orientalis 8 (Propyläen Verlag – Darmstadt (Deutschland). In den weitaus meisten Faksimile Ausgaben unterbleibt dieser Schritt allerdings aus finanziellen und technischen Gründen.

XI) Limitierung

In der Regel sind die Auflagen von Faksimiledrucken mittelalterlicher Handschriften auf eine kleine Stückzahl begrenzt. Bei den meisten Faksimile-Ausgaben werden ca. 1.000 Exemplare hergestellt wie zum Beispiel bei den Ausgaben von M. Moleiro Editor – Barcelona (Spanien), ArtCodex – Bologna (Italien), oder des Faksimile Verlags Luzern – Luzern (Schweiz). Es gibt aber auch Auflagen von geringerer Höhe, etwa 680, 499 oder 200 Exemplaren, bishin zu 50, 20 oder gar nur 10 Exemplaren.

Eine Limitierung ist kein notwendiges Kriterium für eine Faksimile-Ausgaben

Eine Limitierung ist aber kein notwendiges Kriterium für eine Faksimile-Ausgaben. So wurden in der Vergangenheit immer wieder auch Faksimile-Ausgaben veröffentlicht, deren Auflagenhöhe nicht limitiert ist. Zu nennen wären hier beispielsweise die Faksimiles von Matthäus Merian: Kupferbibel Biblia 1630 Altes und Neues Testament von Coron – Gütersloh (Deutschland), 2004.

XII) Faksimiles von getrennt aufbewahrten Originalen

Dasselbe gilt auch für einen weiteren Fall der Faksimilierung. Das Stundenbuch der Sforza war im 16. Jahrhundert als eine Handschrift konzipiert worden. Im 19. Jahrhundert wurde diese dann in vier Teilhandschriften geteilt, wie sie noch heute in der British Library in London aufbewahrt werden Der Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz) brachte 1993 eine Faksimile-Edition dieses Stundenbuchs in zweifacher Ausführung heraus. Einmal als sogenannte Normalausgabe, die das Stundenbuch in heutiger Form, also in vier Teilbänden wiedergibt, einmal als Vorzugsausgabe, welche die einzelnen Teile wieder zu einem Buch vereint. Selbstredend sind beide Ausgaben als Faksimiles anzusehen, denn beide geben das (damalige bzw. heutige) Original mehr oder weniger akkurat wieder. Ähnlich verhält es sich mit der Faksimile-Edition des Lorscher Evangeliars (ebenfalls Faksimile Verlag – Luzern (Schweiz), 2000). Dieses wurde in zwei Teile aufgespalten, welche sich heute in der Vatikanischen Bibliothek und in der Filiale der rumänischen Nationalbibliothek in Alba Julia befinden. Die zum Buchdeckel gehörenden Elfenbeintafeln befinden sich in den Vatikanischen Museen und im Victoria and Albert Museum in London. In der Faksimile-Edition hat man diese Teile wieder vereint. Man ahmt also nicht die heutigen Verhältnisse, sondern die längst vergangenen nach.

XIII) Faksimiles von Faksimiles

Normalerweise dienen Originalhandschriften oder -drucke als Vorlage für Faksimile-Editionen. Das ist jedoch nicht immer der Fall. So kann zum Beispiel eine eingeschränkte Zugänglichkeit, fortschreitender Verfall oder gar der Verlust des Originals dazu zwingen, eine neue Faksimile-Ausgabe auf Grundlage eines früher hergestellten Faksimiles anzufertigen. Beispiele hierfür sind etwa der Codex Manesse (Insel Verlag – Frankfurt Deutschland), 1975–1981), der auf dem Faksimile desselben Verlags aus den Jahren 1925-1927 beruht oder die Grandes Heures der Anne de Bretagne von Club Bibliófilo Versol – Madrid (Spanien), 2003, die auf eine Abschrift zurückgehen, die bereits in den 1870er Jahren angefertigt wurde.

Da auch diese Editionen die Originalhandschrift nachbilden, sind selbstverständlich auch sie als Faksimileausgaben zu bezeichnen

 

Erstveröffentlichung des Artikels im August 2019; letzte Aktualisierung im März 2022

Autoren: Christian und Georg Ziereis

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